Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Wir blieben noch eine Zeitlang da und konnten nicht mehr in der Wohnung wohnen. Wir hatten eine Datscha am Meeresufer, da war es nicht so (gefährlich). Wir waren da und im letzten Moment kam es zu einer tragischen Situation für uns. Vater wurde es möglich, Mutter als Ärztin in die Evakuierung zu schicken.
  2. Sie war dagegen und sagte, sie wolle den Vater und den Sohn – er war 16 – nicht verlassen. Sie zwangen sie aber regelrecht dazu und sagten, dem kleinen Kind, d.h. mir, könne etwas passieren, es könne so kaum überleben. Also, sie zwangen sie zu gehen.
  3. Die Mutter und ich kamen sehr langsam mit dem Zug nach Astrachan. Danach fuhren wir weiter und wohnten schließlich bei einer Bekannten von Mutter in Baku. Später war ich wieder in Baku und Erinnerungen kamen hoch, denn ich war schon sieben, als ich von dort fortzog.
  4. Daher hatte ich ziemlich deutliche Vorstellungen. Jahrzehnte später war es eine prachtvolle Großstadt. Sie war auch damals (im Krieg) groß. Ich würde jetzt aber sagen, es war eine durchaus asiatische Stadt. Wir wohnten… Ähnlich wie in Deutschland gab es da eine Altstadt, die Straße waren (schmal), es gab nicht einmal primitive Einrichtungen.
  5. Irgendwo gab es Hochhäuser, in der Sowjetzeit gebaut. Und die Altstadt war etwas vollkommen Schreckliches. Die Mutter konnte schnell eine Arbeit finden, aber die Alltagsprobleme… Ich blieb zunächst alleine in unserem Zimmerchen, die Nachbarinnen passten auf mich auf. Sie arbeiteten nicht, hatten viele Kinder und passten auch auf mich auf.
  6. Sie schätzten sehr, dass Mutter Ärztin war und ihnen bei Bedarf behilflich sein konnte. Später fand sich ein Kindergarten. Also, so lebten ich und meine Mutter. Sie wusste natürlich gar nicht, wie es dem Vater und dem Sohn erging. Es ist kaum vorstellbar, wie schwer es ihr zu Mute war, als sie wieder arbeitete und mich großzog.
  7. Aber gleich nach der Befreiung von Odessa erfuhr sie irgendwie, dass sie wenigstens am Leben geblieben sind. Und wir fuhren… Sie konnte sich auf der Arbeit abmelden, es war nicht einfach, da sie Ärztin war.
  8. Also, wir fuhren nach Odessa, die Fahrt dauerte auch viel Zeit, einige Wochen. Nach der Ankunft trafen wir nur den Vater an. Odessa wurde am 10. April befreit, und am 12. ging der Bruder zur Armee. Wir kehrten in die Wohnung zurück, wo ich geboren wurde. Und ich lebte das ganze Leben lang in dieser Wohnung bis zur Abfahrt hierher.