Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Nun kann ich schon ausführlicher darüber erzählen – ich war schon größer –, was am 22.06.1941 passierte. An diesem Tag blieb ich im Bett liegen, ich faulenzte. Plötzlich hörte ich die Ansprache von Molotow.
  2. Er sprach davon, dass Deutschland die Sowjetunion überfallen hat. Übrigens sprach mein Vater davon bereits 1939: Es kommt zum Krieg.
  3. Das war nach dem Hitler-Stalin-Pakt. Nach dieser Radioansprache lief ich in die Küche. Die Küche war in der Gemeinschaftswohnung, wo meine Eltern wohnten, meine Mutter. Sie wurde dann, wie es hieß, „verdichtet“, und sehr viele Familien wurden da untergebracht.
  4. Wir behielten ein kleines und ein großes Zimmer, für die Zeit war das gar nicht schlecht. Ich lief in die Küche und sagte zu allen Frauen, die da kochten: „Warum steht ihr hier? Hitler hat uns überfallen.“ Und ich heulte dabei furchtbar.
  5. Gleich kamen die Lebensmittelkarten. Oder fast gleich, ich weiß es nicht genau. Sie waren so großzügig bemessen, dass man kaum all die Lebensmittel kaufen konnte.
  6. In diesen Tagen kam ein Cousin von mir mit dem letzten Zug aus Riga, zusammen mit seiner schwangeren Frau. Er wollte sie hierher bringen und zurückfahren, die Leute begriffen noch nicht, was los war.
  7. Er selbst hatte zwei Jahre Architektur in Riga studiert, bis dahin. Und sie arbeitete als Justitiarin. Als sie kamen, hatte meine Mutter einen Schock. Sie verstand, was mit den den übrigen Verwandten passieren würde, die in Riga blieben.
  8. Sie war deprimiert. Vor diesem Hintergrund sagte ihr der Vater, von der Arbeit kommend: „Lege Vorräte an, wir werden schlimm hungern.“ Meine Mutter nahm das nicht ernst, sie verstand es einfach nicht. Sie kaufte nur die besten Lebensmittel auf Karten, um sehr gutes Essen für ihren Neffen und dessen Frau zu kochen.