Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Warum ich davon erzähle? Weil ich mit ihnen im engen Kontakt stand. Sie warfen Brandbomben vom Dach herunter. Einer dieser Jungen hieß Slawa und wohnte in unserem Treppenhaus. Und er half mir sehr. Wenn Großmutter für Brot anstand, beauftragte sie ihn als Älteren, und er war sozusagen mit mir zusammen.
  2. Noch bevor es ganz schlimm wurde, durfte ich raus auf die Straße, manchmal mit der Großmutter zusammen. Es gab schon viele Leichen, die Leute kamen durch Bomben und Granaten um, und es gab schon Hunger. Es war Winter, sie wurden auf Schlitten gefahren, daran kann ich mich ganz klar erinnern. Sie wurden zur Newa gebracht und hineingeworfen. Die Newa war nicht weit von uns.
  3. Die Petschatnikow-Straße ist am Mariinskij-Theater. Und die Newa ist eine Haltestelle weiter, am Platz der Arbeit ist die Leutnant-Schmidt-Brücke. Im Sommer wurde das Wasser auch aus dem sozusagen verseuchten Fluss geholt. Und im Winter… Wasser gab es ja nicht, wir schmolzen das Eis.
  4. Mama war nie zu Hause. Und wenn doch, dann sehr selten. Sie gab dort (an ihrer Arbeitsstelle) ihre Lebensmittelkarten ab und bekam zu essen. Manchmal sparte sie Brot auf oder etwas anderes und brachte es uns. Ich sah sie sehr selten.
  5. Also, der Krieg brach aus, es begannen die Luftangriffe. Zunächst gingen wir runter in den Luftschutzkeller. Manchmal übernachteten wir auch da, denn nach einem Beschuss begann ein Luftangriff usw. Bei uns gab es ein Kommando aus Jungen von zehn bis 13 Jahren.
  6. Später kam er um. Was noch? Es gab zu wenig Brot… Ja, bei Kriegsausbruch, als Großvater noch nicht weggeschickt worden war, hatten wir die Katze Katja. Großvater kochte die Katze, denn es herrschte schon Hungersnot. Er sagte, es sei ein Hühnchen, und wir alle aßen davon.
  7. Erst nach dem Krieg sagte mir die Großmutter, dass wir die Katze gegessen hätten. Ich fragte dann öfters: „Wo ist denn unsere Katze?“ Die Oma brachte sehr wenig Brot mit, manchmal musste sie Tag und Nacht anstehen. Und ich wusste nicht einmal, ob sie es zurückschafft oder unterwegs stirbt.
  8. Und ich lag da. Unsere Wohnung war so: eine Diele mit vier Türen –die Wohnungstür, der Flur und zwei Zimmer. Alle Fensterscheiben in den Zimmern waren durch die Luftangriffe zerstört. Da war alles geschlossen, und wir gingen nicht in die Zimmer hinein. Denn drinnen war es schon kalt.
  9. Wir wohnten in der Diele. Wir schliefen, aßen und kochten da. Die Küche war auch abgeriegelt, damit es nicht zog – die Fensterscheiben waren da auch zerstört. Einmal ging Großmutter Brot kaufen und kam lange nicht zurück. Und eine Granate schlug ein… Ich ging nicht mehr hinunter, Slawa war nicht mehr da und keiner konnte mir helfen.
  10. Ich lag einfach da. Und die Granate traf die Nachbarwohnung, die Zwischenwand in unserem großen Zimmer war dann nicht mehr da. Und was mir in Erinnerung blieb: Ein alter Mann, er war vielleicht 70 oder 80... Damals schien er mir sehr alt zu sein, vielleicht war er jünger. Also, die Beine und der Kopf lagen getrennt da, und dieser Horror…