Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. In Charkow marschierten die Deutschen am 25. Oktober ein. Uns gelang es erst am 10. Oktober, Charkow zu verlassen. Es gab bereits Luftangriffe, das Kraftwerk brannte schon usw. Das Evakuierungsziel war… Vielleicht haben Sie mal von ihr gehört, sie liegt im mittleren Ural – die kleine Stadt Gubacha.
  2. Damals war es das Gebiet Molotow, heute Perm. Da war eine große Koks- und Chemiefabrik. Das war der erste Ort auf unserer Reise. Wir waren unterwegs zu diesem Ort… Vielleicht vertue ich mich um einige Wochen, es ist lange Jahre her. Das waren etwa zwei bis zweieinhalb Monate.
  3. Der Krieg war auf dem ukrainischen Territorium in vollem Gange. Die Kriegshandlungen muteten traurig an, unsere Truppen waren überall auf dem Rückzug. Auf unserem Weg, noch im Gebiet Charkow, lagen zwei Eisenbahnknotenpunkte, Losowaja und Kupinsk. An diesen Stationen wurden wir ordentlich bombardiert.
  4. In Kupinsk gab es eine Episode: Während des Luftangriffs brach Panik aus, so etwas ist schon oft beschrieben worden. Die Leute sprangen aus den Wagen heraus. Ich weiß noch, ich hatte Schuhe mit Galoschen an. Die Böschung war hoch… Ich war neun. Wir sprangen also auf die eine Seite.
  5. Was auf der anderen Seite los war, weiß ich nicht. Vor uns war dichtes Schilfrohr und ein Sumpf. Das wusste natürlich niemand. Ich lief geradewegs dorthin und begann einzusinken. Bis heute weiß ich nicht, wer das war – offenbar ein Erwachsener in meiner Nähe.
  6. Er zog mich an den Haaren – ich hatte schon eine Mähne – oder am Kragen heraus. Der Luftangriff war dann vorbei, und mir fehlten ein Schuh und beide Galoschen. Es war der Sumpf, und obwohl sie ordentlich geschnürt waren… Ja, das war wieder sprichwörtlich göttliche Vorsehung. Danach fuhren wir weiter und kamen im Ort an.