Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Nach Kriegsende kehrte mein Vater von der Front zurück. Gott sei Dank, er konnte überleben. Wir fuhren in unsere Heimatstadt Kriwoj Rog. Unser kleines Haus war zerstört. Es hieß, da wäre eine Bombe eingeschlagen. Das stimmte allerdings nicht, denn die Umgebung war unversehrt.
  2. Die Nachbarn haben das Haus Stein für Stein abgebaut und den Keller geplündert, wo wir alles deponiert hatten. Es war natürlich sehr naiv von uns zu denken, nach der Rückkehr können wir über alles verfügen.
  3. Ich ging dann zur Schule… Ich möchte sagen: Die Juden kehrten nach dem Krieg zurück, unsere ukrainischen Nachbarn haben das nicht erwartet. Sie dachten, alle Juden seien tot. Sie fragten: „Wie das denn? Kommt ihr aus Babij Jar zurück?“
  4. Babij Jar war in Kiew, aber jede Stadt hatte ihr eigenes Babij Jar. Auch in Kriwoj Rog gab es ein Babij Jar. Ich erzähle kurz darüber. Manche Juden wollten in Kriwoj Rog bleiben.
  5. Auch mein Onkel, der sagte, die Deutschen seien eine zivilisierte Nation, man brauche nicht wegzufahren… An einem bestimmten Tag mussten sie mit Dokumenten und Wertsachen erscheinen. Sie wurden zum Schacht Nr. 5 geführt, so heißt er auch heute.
  6. Sie wurden dort lebendig hineingeworfen, 100 Meter tief. Der Schacht liegt am Fluss, die Ukrainer am anderen Ufer hörten noch einige Tage Schreie und Gestöhn. Das war das Babij Jar von Kriwoj Rog.
  7. Als wir und die anderen zurückkehrten, gab es unser Haus nicht mehr. Die Wohnungen waren von anderen besetzt, die neuen Bewohner hatten sich alles angeeignet. Es gab natürlich gute Menschen, sie gaben den Rückkehrern ihre Sachen zurück. Aber nicht alle taten das gerne, sie dachten, die Wohnung und die Sachen gehören jetzt ihnen.
  8. Ich möchte sagen: Vor dem Krieg gab es keinen Antisemitismus in der Ukraine. Oder er war nicht so… Nach dem Krieg aber aus irgendeinem Grund… Es hätte eigentlich ganz anders sein müssen. Die Juden wurden ja verfolgt und vernichtet.
  9. Es schien, nach dem Krieg wird alles friedlich sein, alle werden die anderen lieben und achten. Das sind natürlich Binsenweisheiten, aber man dachte, die Leute werden wach, denn der Krieg war so schrecklich, viele Leute sind umgekommen.
  10. Ich erzähle über meine Familie, aber viele Leute fielen an der Front und auch viele Zivilisten. Es schien, die Leute werden wach und kommen zur Besinnung. Aber nein, tatsächlich war es anders.
  11. Erst nach dem Krieg entstand der Antisemitismus, er äußerte sich in allem: bei der Zulassung zum Studium, zur Arbeit und überall.