Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Und ich blieb bis 1945 im Waisenhaus. Ich war schon älter, und es war so, dass alle im Waisenhaus auf mich hörten. Ich war die beste im Schulunterricht, und das Verhältnis zu mir war gut, ich spürte es nicht anders. Als der Krieg zu Ende war und wir Kinder aus der Ukraine in den Donbass fahren mussten…
  2. Und in das Waisenhaus kamen nun die tschetschenischen Kinder, denn die Tschetschenen wurden nach dem Krieg aus dem Kaukasus deportiert. Und ihre unglückseligen Kinder kamen in das Waisenhaus. Unser erster Direktor war ein Russe, er wurde dann von einem Kasachen ersetzt. Der war Frontsoldat und hatte wohl eine Kriegsverletzung.
  3. Er war sehr gut zu mir. Und er sagte: „Maya, fahr nicht fort. Du bist die beste Schülerin. Wir werden später dein Studium finanzieren, du wirst Studentin.“ Ich schloss damals nur die siebte Klasse ab, aber mit den besten Noten. Er sagte: „Fahr nicht fort. Dort ist alles zerstört. „ Ich sagte: „Nein, ich fahre in meine Heimat.“ Und wir kamen in den Donbass.
  4. Also, wir wollten in den Donbass fahren, und mein Bruder musste in Kasachstan bleiben. Und ich gehe natürlich zum Direktor der Handwerkerschule und sagte ihm: „Wir waren fünf Leute in der Familie, nur wir zwei sind übrig. Ich kann nicht ohne meinen Bruder wegfahren. Ich bitte Sie, erlauben Sie ihm die Schule zu verlassen.“
  5. Er musste ja noch einige Jahre abarbeiten, Sie wissen, wie es üblich war. Der Direktor sagte: „Weine nicht, Kindchen. Ich rufe in Taschkent an und glaube, das wird genehmigt.“ Ich kam (noch einmal) zu ihm, er sagte: „Es wurde genehmigt.“ Und wir fuhren im Güterwagen in den Donbass. Die Soldaten fuhren an die Front nach Japan und China, und wir in die Gegenrichtung.
  6. Wir waren alle Mädchen, er war der einzige Junge. Denn er war mein Bruder, und alle wussten: Er ist der Bruder von Maya, alles klar. Wir kamen dann im Donbass an, alle Hausdächer waren da demoliert, da wurde ja gekämpft.
  7. Das Waisenhaus befand sich im Dorf Nikolajpolje, das war im Donbass. Der Landkreis hieß Druschkowka. Gleich nach der Ankunft da kam mein Bruder in eine Handwerkerschule, diesmal für Bergbau, da wurden die Loren für den Bergbau hergestellt. Und ich blieb wiederum im Waisenhaus. Unser Direktor war in Kriegsgefangenschaft in Österreich gewesen und sprach ab und zu mit mir Deutsch.
  8. Ich konnte irgendwie etwas auf Jiddisch verstehen, konnte das Jiddische aber nicht. Ich konnte es nur ein wenig. Denn wenn meine Eltern etwas vor uns verheimlichen wollten, sprachen sie Jiddisch. Also, der Bruder war wieder auf der Handwerkerschule. Und der Direktor des Waisenhauses, er war Russe, sagte: „Maya, ich kann dich nicht auf die Handwerkerschule schicken. Du bist eine gute Schülerin.“