Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Wir hatten (nur noch) einen Kinderwagen und keine Sachen mehr. Mama entschied, nach Weißrussland zu gehen – ins Dorf Stodubowka bei Shedino. Da lebten die Eltern des Vaters. Denn die Stadt brannte, wir mussten sie irgendwie verlassen. Wir gingen gen Westen, über diese schrecklichen Straßen.
  2. Ich kann nicht sagen, wie lange. Der Krieg brach im Juni aus, und als wir in diesem Dorf ankamen, war es schon kalt, es war Herbst. Es ist furchtbar, an den Weg zurückzudenken. Wir gingen von Dorf zu Dorf und bettelten. Mama schickte mich betteln.
  3. Es gab einen kuriosen Vorfall, den ich nicht vergessen kann. Ich war kaum fünf Jahre alt und Mama sagte: „Geh’, bitte um Brot.“ Ich trat hinein (in ein Haus), die Kinder lagen auf dem Ofen. Ich sagte: „Seid gegrüßt! Gebt mir ein Stück Brot.“
  4. Und sie: „Brot haben wir nicht, nur Pfannkuchen.“ Ich sagte: „Pfannkuchen brauchen wir nicht.“ Dass Pfannkuchen auch Brot ist, wusste ich nicht. Ich kam zurück und sagte: „Mama, sie haben kein Brot, nur Pfannkuchen. Die brauchen wir ja nicht.“ – „Mein Gott, Kind, Pfannkuchen ist auch Brot.“
  5. Unterwegs war es furchtbar: Ein Baby, keine Sachen und der furchtbare Krieg. Und noch etwas: Als ich nicht mehr gehen konnte, hob ich die Hand. Die deutschen Lkws, wenn sie in unsere Richtung fuhren, hielten an, und wir durften einsteigen. Sie ließen uns wirklich auf die Ladefläche steigen und fuhren in irgendeinen Ort.
  6. Mama sah nicht jüdisch aus, das war das Wichtigste. Und wir wussten noch nicht, dass (die Juden) ermordet werden. Einmal warf man uns ein oder zwei Brote zu, bei diesem Anblick: eine Mutter mit drei kleinen Kindern. Deutsche Soldaten warfen uns Brot zu. Ich sage: Barmherzigkeit gibt es immer.
  7. Heute weiß ich viel darüber: die Leute bleiben so wie sind, auch während so eines schrecklichen Krieges. Aber unser Weg… Um Gottes willen, bei der Erinnerung daran muss ich erschaudern. Es war Horror: Läuse, Hunger, nicht zu fassen.
  8. Wenn ich mal den Kopf hängen lasse, dann denke ich immer an Mama in dieser Zeit. Und ich komme gleich zu Kräften und fürchte nichts. Ich denke zurück an diese schrecklichen Monate, als wir unterwegs waren in dieses Dorf.