Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Unsere Freunde, die schon in Moskau lebten, konnten eine (Rückkehr-)Genehmigung für uns erwirken. Und am 4.11.1944 kamen wir in das Haus, wo wir früher gewohnt hatten. Es stellte sich heraus, dass da jemand wohnte, der Eingang zu unserem Zimmer war mit Sperrholzplatten versperrt.
  2. Der Mann, der da lebte, behauptete, da sei kein Zimmer. Wir überzeugten ihn vom Gegenteil und zeigten ihm das Zimmer. Wir zogen da ein und er etwas später aus. Denn er war ganz unberechtigt da eingezogen. Das war aber (eigentlich) kein Problem für uns.
  3. Das wichtigste Problem war die Arbeitsaufnahme meiner Mama. Sie suchte alle möglichen Betriebe auf und füllte Fragebögen aus: Sie hatte im Ausland gelebt, ihr Mann war verhaftet worden. Und Schluss und vorbei – sie wurde nicht eingestellt. Und ich musste zur Schule. Wir waren noch nicht angemeldet: ohne Arbeit keine Anmeldung.
  4. Immerhin konnten wir da wohnen, da wir Dokumente hatten, dass uns die Unterkunft gehört. Und Mama brachte mich in eine Schule. Da sie Englischlehrerin in Konstantinowka gewesen war, lernte ich auch Englisch. Damals war Englisch eine Seltenheit auf den sowjetischen Schulen; meistens wurde Deutsch unterrichtet.
  5. Wir erfuhren, dass in der Eisenbahn-Schule auch Englisch unterrichtet wird. Mama brachte mich hin, um mich dort unterzubringen. Der Schuldirektor sagte: „Ja, wir haben Klassen mit Englischunterricht. Uns fehlt aber der Lehrer. Wir können Ihren Sohn aufnehmen, aber… Was sind Sie denn von Beruf?“
  6. Sie sagte: „Ich bin Englischlehrerin.“ Er sagte: „Wir werden Ihren Sohn nur zusammen mit Ihnen aufnehmen. Arbeiten Sie irgendwo?“ – „Nein, (hab’) noch keine Arbeit gefunden.“ – „Nun, ich biete Ihnen Arbeit an.“ Und dann sagte er buchstäblich: „Sie wissen aber: Um die Arbeit zu bekommen, müssen Sie diesen Fragebogen der Bewerbung beilegen.“
  7. Er holte einen Bogen aus der Schublade. „Sie müssen das genau ausfüllen. Z.B. lautet hier die Frage: ‚Gibt es in der Familie Repressierte?‘ Schreiben Sie nicht einfach ‚Nein‘, sondern: ‚Nein, in meiner Familie gibt es keine Repressierten‘. Oder: ‚Waren Sie im Ausland?‘ Schreiben Sie: ‚Nein, ich war nie im Ausland.‘ Haben Sie mich verstanden?“
  8. Mama sagte ja und dass sie den Fragebogen zu Hause ausfüllen werde. Und er stellte sie ein. Warum er das gemacht hat, verstanden wir damals nicht. Das besonders Bemerkenswerte dabei war: Nach der Ankunft hier (in Deutschland) kamen wir in ein Wohnheim. Ich erzählte diese Geschichte einem Nachbarn, der aus Charkow war.
  9. Es kam so, dass der Nachbar die Familie dieses Direktors kannte. Der war auch ein Charkower und hatte sich im Krieg in Losinka angesiedelt, wo wir auch lebten. Der Nachbar sagte: „Er (der Direktor) war ein äußerst kluger Mensch und hat gemerkt, wie deine Mama ist.“ (Jedenfalls:) Mama arbeitete als Englischlehrerin in dieser Schule bis zur Rente.