Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Am 28. Juni 1940 kamen die Sowjets, die Truppen marschierten ein. Wie alt war ich damals – 12 Jahre, ich war noch (klein)… Aber ich hatte meine Großmutter, das ist sie. Sie war auch ein sehr weiser Mensch.
  2. Sie saß und beobachtete die Truppen, die vorbei zogen. Und sie sagte zu mir auf Jiddisch: „Weißt Du, Izekli…“ Izekli, das ist die Verniedlichung von Isaak, das ist wie „-chen“ auf Deutsch. Sie sagte: „Weißt Du, mit gefällt dieser Staat nicht.“
  3. Ich fragte sie: „Warum, Großmutter?“ Sie warfen mit Münzen, Kinder liefen dahin und viele kamen dabei ums Leben. Sie fuhren mit Lkws, die Soldaten saßen auf den Brettern wie auf Bänken, sie hatten Gewehre von 1893, glaube ich. Sie trugen Rotarmistenmützen und warfen mit Münzen.
  4. Meine Großmutter sagte: „Wie kann man mit Geld werfen? Geld ist da, um Kleidung und Essen zu kaufen.“ Später studierte ich Politökonomie an der Hochschule, auch die Formel von Marx: Ware–Geld–Ware. Ich sagte zu meinen Freunden, obwohl das damals gefährlich war: „Wenn meine Großmutter vor Karl Marx gelebt hätte, hätte sie ‚Das Kapital‘ geschrieben.“
  5. Das war im Juni. Das Privateigentum wurde von der Sowjetmacht selbstverständlich konfisziert und verboten. Es ging mit den Verfolgungen los.
  6. Hatte z.B. ein Frisör oder ein Schneider einen Angestellten, so galt er schon als Ausbeuter. Dann begannen die Verbannungen und so weiter. Wir waren davon nicht betroffen. Wie schon gesagt, mein Vater benahm sich so, dass wir sehr arm waren.
  7. Sie kamen am 28. Juni… Mein Chef war nicht mehr Chef, ich musste im September wieder zur Schule gehen. Denn Kinderarbeit wurde von der Sowjetmacht verboten. Ich war 12 Jahre alt.
  8. Ich besuchte die vierte Klasse, das war 1940. Im Mai ‘41 beendete ich die vierte Klasse und dachte, das friedliche Leben würde auch unter dieser Macht weitergehen, man sollte die Macht so nehmen, wie sie ist.