Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Seltsamerweise hat mich das nie interessiert: Warum zogen meine Eltern eigentlich nach Moskau? Das war 1922. Erst vor dem Tod meiner Mutter, die über 90 wurde, fragte ich sie: „Warum habt ihr beschlossen, nach Moskau zu gehen?“ Sie sagte: „Die Zeit war sehr schwer, außerdem gab es einen Druck auf die Intelligenzija. Vater wollte gerne in Deutschland leben, er fühlte sich da wohl. Und wir entschlossen uns: Vielleicht können wir nach Wilna gehen.“ Wilna war damals allerdings im Ausland.
  2. Das war auch zum Nachteil meines Vaters, wenn er seine Fragebögen ausfüllte: nach der Revolution war das Ausland. „Wir dachten, vielleicht bekommt er die Erlaubnis nach Wilna zu gehen im Zuge der Emigration 1922. Und von da aus wollten wir nach Deutschland gelangen.“ Sie kamen dann nach Moskau, wo dem Vater eine wissenschaftliche Tätigkeit angeboten wurde. Er träumte immer, Wissenschaftler zu sein, und so blieben sie in Moskau.
  3. Die Arbeit riss sie mit. Sie sagten immer, die Revolution habe sie auch mitgerissen und erst die Schrecken von 1937 ließen sie wieder Abstand nehmen. Beide waren Urologen und Venerologen, so mussten sie sich mit der Umerziehung von Prostituierten beschäftigen. Sie arbeiteten in Gefängnissen, weil es viele soziale Krankheiten gab. Ihnen schien, dass sie etwas Neues machten und man sie sehr bräuchte. Sie machten Expeditionen, denn in den Randgebieten (der Sowjetunion) wurde die medizinische Versorgung erst aufgebaut. Mein Vater war mal in Burjatien, die Mutter in Kasachstan.