Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Es begann Chruschtschows „Tauwetter“. Ich erzähle über meine Erfahrungen, obwohl ich weiß, dass ich sie mit vielen teile. Es war nicht einfach, eine Arbeit zu finden. Ich fand sie aber so oder so. Wissen Sie, als ich mich vorbereitet habe, habe ich gedacht: Größere Zeiträume lassen sich leichter in der Erinnerung abrufen.
  2. Zuerst arbeitete ich als Journalist für Zeitungen und Zeitschriften, war festangestellt oder freier Mitarbeiter. Gleichzeitig versuchte ich wissenschaftlich zu arbeiten und schrieb die ganze Zeit. Das machte ich bis zum Beginn der 1960er-Jahre. Da bekam ich urplötzlich und wie immer eher zufällig das Angebot, ein Buch für die Reihe „Leben hervorragender Menschen“ zu schreiben. So kam ich zum biografischen Genre, das für weitere 30 Jahre meines wurde.
  3. Die literarische Arbeit und vor allem das biografische Genre waren praktisch bis zur Emigration mein Leben. Ich war damit 30 Jahre beschäftigt. Ich veröffentlichte um die 50 Bücher. Ich schrieb und arbeitete im Allgemeinen immer viel. Die Arbeit interessierte mich unheimlich. Das biografische Genre gewann bereits in den „Tauwetter“-Jahren eine große Bedeutung. Denn ein Biograf konnte mehr sagen. Er erzählte erstens über die Vergangenheit und zweitens über einen konkreten Menschen. Er zitierte, zeigte dessen Ideale und Bestrebungen.
  4. Und die Menschen erkannten darin etwas Eigenes wieder. D.h., wenn der Autor nicht einfach das Leben von jemandem nacherzählen wollte, sondern auch eine wichtige Aussage machen wollte, war es einfacher in einer Biografie als in der Literatur über die Gegenwart. Obwohl man sagen muss, dass die Kontrolle sehr streng war, wie überall. Ich nenne einfach ein Beispiel: Jemand hatte ein Buch über Gogol geschrieben.
  5. Ich war bei seiner Besprechung anwesend… Es wurde gut besprochen, es war eigentlich noch kein Buch, sondern ein Manuskript. Es ging darum, ob es veröffentlicht werden soll. Das Manuskript wurde auf der Besprechung gut aufgenommen, obwohl klar war, dass es der Obrigkeit nicht gefällt. Eine Leiterin traf (dann) eine klare Entscheidung, die wirklich das Ei des Kolumbus war. Sie sagte (dem Autor): „Sie haben ein gutes Buch geschrieben. Das ist aber nicht der Gogol, den wir brauchen.“
  6. Deswegen machte die Arbeit einerseits Freude. Und es gab gute Ergebnisse. Andererseits waren mit jedem Buch irgendwelche Sorgen verbunden… Ich habe darüber bereits geschrieben. Eigentlich habe ich schon über alles geschrieben. Mein Buch über Karl Brüllow rief überraschend einen heftigen Affront bei der Obrigkeit hervor. Das Buch wurde im Sekretariat des ZK der KPdSU bewertet.
  7. Mir wurde später gesagt: „Da wurde die Frage erörtert, ob Sie in der Literatur bleiben dürfen.“ Das ist ein sehr komischer Standpunkt, nicht wahr? Oder ich beschäftigte mich intensiv mit dem Lexikografen (Wladimir) Dal. Ich schrieb einige Bücher über ihn.
  8. Eines davon war ein Kinderbuch, in das ich kein Zitat von Lenin einfügte. Und es kam ein Brief, in dem ich beschuldigt wurde, den Führer verleumdet zu haben. Also, es gab solche Abenteuer.
  9. Alles war nicht so einfach. Denn es gab Verlagsmitarbeiter, die nichts durchgehen lassen wollten. Aber es gab auch viele, die völlig anständige Menschen waren. Sie versuchten, etwas zu erreichen. Deswegen war alles ambivalent, sie waren gegen uns und für uns. Sie nahmen uns oft in Schutz, unsere Werke wurden aber auch durch sie zerschlagen. Das nur nebenbei gesagt.
  10. Ich war kein Kämpfer gegen das System. Ich denke aber, es ist immerhin nicht wenig, zu sagen, was du zu sagen hast, und nicht zu sagen, was erwartet wird. Daher formuliere ich es so: Heute ist es wie im Gedicht von Tarkowskij: „Es ist mir zu wenig“. Damals sah ich mein Leben (aber) so: Ich kann nicht alles machen, was ich will.
  11. Ich mache aber nie etwas, was ich nicht will. Das war das große Glück meines Lebens. Meine Arbeit erfüllte mich mit sehr großer Zufriedenheit. Diese große Zufriedenheit und mein Lebensglück basierten zum Teil auf Gesprächen.
  12. Außerdem gab es entsprechende Einrichtungen. Ich arbeitete z.B. oft für das Puschkin-Museum, Herzen-Museum und insbesondere Tolstoi-Museum. Also das Puschkin- und Tolstoi-Museum. Herzen sagte einmal, es sei eine große Ehre, Aufgabe, ein Verdienst, das Zentrum einer gespaltenen und gefesselten Gesellschaft zu sein.
  13. Bei einigen Museen, Archiven und Bibliotheken bildeten sich solche Zentren. Man versammelte sich unter dem Deckmantel von Vorträgen usf., tatsächlich fanden da wissenschaftliche Sitzungen oder Literaturveranstaltungen statt. Da waren jedoch Leute aus einem bestimmten Kreis versammelt, die danach blieben und (ihre) Gespräche führten. Und das machte nicht weniger Freude als die Arbeit.