Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Drei Wochen waren wir bis Lwow unterwegs. Wir waren aber geschwächt und machten Halt in einem Dorf bei Lwow. Als wir da ankamen, sagte der Vater: „Wir müssen wohl hier über Nacht bleiben. Morgen gehen wir weiter.“ In diesem Dorf war eine jüdische Familie, wir stiegen (da) ab.
  2. Kaum legten wir uns schlafen… Gegen Mitternacht ging es mir schlecht… Wir alle lagen auf dem Boden, das war ein Holzhäuschen. Wir legten uns an die Wand. Ich lag neben dem Bruder, weiter die Schwestern. Als ich von draußen zurückkam, ging ich nicht mehr zu meinem Platz. Etwas bewog mich, einen anderen Platz einzunehmen.
  3. Fünf Minuten später hörten wir einen Schuss und Geschrei im Haus. Da es dunkel war, wussten wir nicht, was los ist. Es war so: Da waren die Bandera-Leute, Nationalisten. Sie schossen und trafen meinen Bruder im Rücken. Er schreit und wir trauen uns nicht, die Kerzen anzuzünden.
  4. Am Morgen standen wir auf und sahen, dass der Bruder bereits tot war. Denn die Kugel traf ihn im Rücken. Wir mussten ihn begraben. Er war 18 Jahre alt, ich werde die Fotos zeigen. Er war 18. Der Krieg war im Gange, das war ja Mitte September.
  5. Etwa am 20. oder 25., das war gerade vor Jom Kippur. Kennen Sie dieses Fest? Mein Vater fuhr los, um ihn zu bestatten. Er kam zurück und sagte: „Wir müssen das Dorf verlassen. Denn ich sehe, dass hier nur Nationalisten sind.“ Meine Schwester lag neben dem Bruder. Ich zeige auch noch seine Fotos. Sie schrie immer wieder: „Mein Fuß tut weh!“, keiner beachtete das aber.
  6. Sie war damals zwölf. Wir gingen zwei oder drei Kilometer weiter und sie konnte nicht mehr gehen. „Wo tut dein Fuß weh?“ Sie zeigte es. Es stellte sich heraus, dass die Kugel den Rücken des Bruders durchbohrt und ihren Fuß getroffen hatte. Wir sahen ein kleines Loch und dachten: Vielleicht ist das nur ein Kratzer.