Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Bereits in der Nacht auf den 22. Juni wurde Kiew, aber auch Vilnius bombardiert. Zunächst dachte man, das sei ein Übungsalarm. Dann aber kam mein Cousin aus Kaunas, er war Ingenieur und studierte in Prag. Er war natürlich älter als ich. Sein Bruder studierte in Paris oder in Wien, jedenfalls im Ausland. Die Litauische Uni nahm sie nicht auf; alle, die konnten, gingen ins Ausland studieren.
  2. Er kam (also) aus Kaunas, damals die Hauptstadt, gleich an der Grenze. Er kam und sagte: „Die Deutschen können hier buchstäblich jede Stunde sein. Die Litauer warten auf die Deutschen. Onkel Owssej, fahrt weg.“ Alle sagten: „Nun, wenn sie kommen, werden wir überleben. Sie waren im Ersten Weltkrieg hier, das ging aber nicht so schnell.“ Mein Vater (aber) musste sich im Kriegsfall binnen 24 Stunden beim Kriegskommissariat melden. Er war Major…
  3. Also, am 22. Juni kam mein Cousin aus Kaunas (zu uns). Er sagte: „Onkel Owssej, macht euch fertig. Ich bringe euch (zum Bahnhof).“ (Mein Vater) wusste ja nicht mehr, wo der Bahnhof ist, er kannte nur die alte Stadt, inzwischen gab es viele Neubauten. Es gab einen Luftangriff. Unterwegs kamen wir bei der ältesten Schwester Olja vorbei.
  4. Sie war mit Berkowitsch verheiratet, einem reichen Mann. Olja war die Älteste in der Familie, wohl älter als Onkel Jascha (Jakow). Wir gingen bei Berkowitschs vorbei und blieben nur 15 Minuten da. Ich weiß noch: Das war eine einstöckige Villa im Zentrum. Da waren vier Wohnungen, in einer wohnten sie.
  5. Bevor die Sowjets kamen, gehörte (ihnen) das ganze Haus. Tante Olga zeigte uns den Schrank, ich hatte so etwas vorher noch nie gesehen. Das war im Schlafzimmer, sie hatten drei Zimmer, denn die Kinder wohnten schon getrennt. Sie sagte: „Nehmt euch, Hut, Kleid, Mantel, Schuhe“, alles farblich abgestimmt. (Mein Vater) sagte: „Ich brauche nichts, ich will nur die Kinder lebendig zurückbringen! Ich will nichts.“ Sie erzählten uns da, dass sie Gründe für ihren Groll hatten.
  6. Denn als unsere (Truppen) einmarschiert waren, wurden alle Besitzer, sogar die eines kleinen Geschäfts, nach Sibirien deportiert, ganz zu schweigen von den Reichen. In ihre Häuser zogen unsere Offiziere ein, Parteimitarbeiter usw. Viele kamen nicht mehr zurück, kamen dort ums Leben. Alle mussten ihre Wohnungen räumen... Also, wir gingen dann weg, während eines Luftangriffs. Ich weiß noch, dass das tagsüber war, am 22. Die Sirenen heulten, wir versteckten uns unter einem Tor und gingen dann zum Bahnhof, er war ganz nahe.