Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Ich bin seit 2000 hier. Und was tu ich hier? Ich halte Vorträge, natürlich auf Russisch. Den ersten Vortrag noch im (Übergangs-)Heim… Ich begeistere mich für Poesie, ich liebe Poesie. Selbst schreibe ich praktisch nicht, vielleicht ein Gedicht zum Geburtstag.
  2. Noch in der Schule habe ich die wahren Dichter gelesen und verstanden, dass aus mir kein Poet werden wird. Ich liebe die Poesie aber sehr, auch gute Prosa. Ich sammele (Gedichte) in einem Heft, vor allem hier, weil es gut möglich ist. Ich bin in der Bibliothek angemeldet. Ich habe meine Lieblingsautoren, beginnend mit Avicenna und Umar Hayam, bis in die Gegenwart.
  3. Zunächst habe ich alle Feste da (in der Kölner Synagoge) besucht, bevor das (Gemeinde-)Zentrum bei uns in Porz eröffnet wurde. Ich besuchte (die Gemeinde), hörte zu und lieh Bücher aus. (Isaak) Olschanski leitet (die Bibliothek).
  4. Ich meldete mich da gleich nach der Ankunft, Gemeindemitglieder dürfen ja die Bibliothek nutzen. Ich las alles, was sie dort haben, die Geschichte des jüdischen Volkes. Ich machte mich mit dem vertraut, was ich nicht kannte. Ich war am Schabbat da und unbedingt an den wichtigen Festen…
  5. Jetzt gehe ich nicht mehr hin, nur zu wichtigen Festen wie dem jüdischen Neujahr im Herbst und Channukka. Aber nicht jeden Samstag, denn hier (in Porz) ist es nicht möglich, und ich fahre nicht dorthin (zur Synagoge). Ich bin da gewesen, habe alles gesehen, ich habe den Tallit angezogen usw.
  6. Ich sage (aber) nur eins: Ich habe mein Leben da verbracht, wo die Religion beseitigt worden war. Alle Religionen: orthodoxe, katholische und jüdische. Alle Synagogen und Kirchen wurden abgerissen. Wir alle waren Atheisten… Es gibt Atheisten und es gibt Gläubige. Und es gibt die, die dazwischen sind…
  7. Wie heißen sie noch? Sie denken, dass Gott hier (im Herzen) sein muss. All die Gebote: Du sollst nicht töten usw. … Es gibt einen Gott (– hier). Sie (die zwischen Atheisten und Gläubigen) gehören keiner Konfession an, führen aber ein normales gutes Leben.
  8. Ich gehöre zu diesen Leuten. So lebte ich mein Leben. Wenn ich jetzt die Leute treffe, die… Bei jungen Leuten ist es was anderes. Aber die, die ihr ganzes Leben dort (in der Sowjetunion) verbracht haben. Einem Orthodoxen war es ja verboten, eine Kerze in der Kirche anzuzünden. Er war ja Parteimitglied – und da stand geschrieben: „Religion ist Opium für das Volk“, wie Lenin sagte.
  9. Deswegen (jetzt) religiös zu werden, koscher zu essen… Was doppelt oder dreifach so teuer ist, hier gibt es so ein Geschäft. Am Samstag darf man (so vieles) nicht… Mich besucht eine Gläubige, sie ist viel jünger als ich. Sie darf (am Schabbat) nicht schellen und nicht den Hörer abnehmen. Sie kommt und ruft: „Yevgeniy Owssejewitsch, machen Sie die Tür auf!“
  10. Bald kommt Pessach, ich habe schon jetzt Matze gekauft. Denn Matze mag ich. Ich gebe sie der Tochter, sie bereitet sie gerne mit Bouillon zu. Und ich werde in unser (Zentrum) gehen, da ist ein neuer Rabbi. Übrigens gefällt er allen sehr, mir auch.
  11. Seine Frau stammt aus dem Baltikum und er kann etwas Russisch. Und sein Gehilfe hat die ersten Studienjahre für Rabbiner in Berlin abgeschlossen. Er kommt aus der Ukraine und spricht frei Russisch.