Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Ich wuchs in Riga auf, ich würde sagen: in einer sehr wohlhabenden Familie. Mein Vater war Arzt, Kardiologe. Er war bekannt in Riga und wurde sehr geschätzt. Und Geld war selbstverständlich kein Problem. Wir wohnten zuerst in einer Fünfzimmerwohnung, etwas außerhalb des Stadtzentrums. 1932 zog die Familie ins Zentrum, wir wohnten in einer sehr schicken Achtzimmerwohnung mit allen Annehmlichkeiten und auch schönen Sachen
  2. Mein Zimmer war nicht groß, vielleicht wie dieses Zimmer. Aber es hatte fünf Ecken, einen Kamin, Dekor und Deckenmalerei. Kurz gesagt eine schöne Einrichtung. Mein Vater war Arzt, aber auch Kunst- und Literaturliebhaber. Er liebte alles, was mit Kultur zusammenhängt. Sein Interesse daran begleitete ihn sein Leben lang. Und ich wuchs in dieser Umgebung auf.
  3. Nicht zufällig hatte ich seit der frühen Kindheit Klavier- und Englischstunden. Ich besuchte auch die Tanzschule; ich hatte alles, was die Entwicklung fördert. Mein Vater machte mich mit der Musik vertraut. Er brachte die ersten Langspielplatten und spielte sie auf dem Grammofon ab.
  4. Ich hörte damals die Tannhäuser-Ouvertüre, „Scheherazade“ von Tschaikowski (Rimski-Korsakow) und vieles andere. Mein Vater nahm mich mit in die Oper. Meine erste Oper war „Lohengrin“, die zweite „Tannhäuser“. Das entsprach meinem Interesse an Sagen und Legenden. Ich war restlos von den altgriechischen und deutschen Legenden begeistert.
  5. Als ich sechs Jahre alt war, fuhr ich mit meiner Mutter in den Kurort Zoppot bei Danzig. Da lebte mein Urgroßvater Berim Frank und er wollte vor dem Tod seine einzige Urenkelin sehen. Wir stiegen in den Zug und fuhren los. Ich weiß noch, ich sah zum ersten Mal einen Storch, ich war ganz entzückt. Wir lernten (die Verwandten) kennen und wohnten eine Zeitlang da. Danach kehrten wir zurück.
  6. Viel wichtiger für mich war später die richtige Auslandsreise im Herbst 1938. Meine Eltern und ich fuhren mit dem Zug über Warschau und Bukarest zum Schwarzen Meer. Wir gingen dort auf das jugoslawische Schiff „Lowtschin“ und umfuhren den ganzen Balkan. Wir besuchten Istanbul, Izmir, Athen, Patras und Durres. Dann fuhren wir nach Tirana, Dubrovnik und Split. Schließlich kamen wir für einige Tage nach Venedig.
  7. Das Wetter war übrigens scheußlich. Und wir wollten dann die Apenninen-Halbinsel umfahren. Aber das war am Vorabend des Münchner Abkommens, es roch nach Krieg. Mein kleiner Bruder war in Riga, und meine Mutter wollte zurück, wir fuhren zurück. Und die Reise in die USA, für das nächste Jahr geplant, kam natürlich nicht zustande, weil der Krieg ausbrach.