Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Bereits in den 1970ern wanderten viele Bekannte aus Lettland nach Israel aus. Sie gingen dann mit einem Visum für Israel nach Amerika oder in ein anderes Land. Natürlich wollte ich im Ausland leben, mir war aber klar, dass ich mit meinem Beruf dort nichts werde anfangen können. Historikerin etwa in Israel, das ist ja lächerlich. Und hier hatte ich eine gute Stelle, ein gutes Einkommen für die Sowjetunion. Ich half meinem Sohn, er war damals schon verheiratet und hatte kleine Kinder, sie kamen in den 1980-ern auf die Welt.
  2. So machte ich mir keine Gedanken über Auswanderung. Ende der Achtzigerjahre traf ich eine alte Bekannte per Zufall auf der Straße. Ich wusste, dass sie in Deutschland lebte. Wir waren froh, uns zu sehen: „Wie geht es Ihnen?“ Sie stand meiner ehemaligen Freundin (Sima) aus Riga sehr nahe, die in den 1970-ern nach Israel ausgewandert und dann nach Deutschland gekommen war. Ich wusste nichts Genaues über sie.
  3. Ich sagte: „Sima wird sich freuen, zu erfahren, dass ich Sie getroffen habe.“ Das war bereits in der „Tauwetterperiode“, man konnte Briefe schreiben. Früher korrespondierte ich mit ausländischen Wissenschaftlern über die Sonderabteilung der Uni. Ich schrieb die Briefe mit Durchschlag und brachte sie zur Sonderabteilung. Sie behielten die Kopie und schickten den Brief ab. Jetzt konnte man frei schreiben und ich nahm Kontakt zu ihr auf.
  4. Sie lud mich ein, sie zu besuchen. Das erste Mal fuhr ich 1989 (zu Sima), dann 1990. Das dritte Mal war im Januar 1991, aber nicht lange. Sie hat mich die ganze Zeit bearbeitet: „Komm hierher! Warum bleibst du dort?“ usw. So hatte ich das im Hinterkopf. Dann kam Anfang 1991, auf unseren Straßen gab es Schießereien und Tote. Wir wussten natürlich nicht, dass die Sowjetunion zerfallen wird.
  5. Die Lage war äußerst schwierig. Bereits im Sommer habe ich meinen Kindern davon erzählt. Sima und ich beschlossen dann: „Sie sollen dahin fahren und sich da umschauen.“ Im Sommer 1990 waren mein Sohn und seine Frau mit dem Auto auf der Fähre hierher gekommen. Sie machten hier (in Deutschland) eine kleine Rundfahrt und kehrten dann zurück.
  6. Von Auswanderung war keine Rede. Anfang 1991 war die Lage (in Lettland) aber wirklich verheerend, und ich sagte: „Wenn ihr dahin wollt, dann wandern wir aus. Wenn nicht, dann bleiben wir hier.“ Sie besprachen das öfters und sagten: „Mama, lass uns fahren.“ Wir ließen buchstäblich alles da. Wenn ich jetzt daran denke, tut es mir besonders leid, dass ich die Briefe zurückließ, Briefe nahestehender Menschen. Eine scheußliche Sache, man kann aber nichts mehr tun.