Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Ich kann das nicht erklären, diese Fähigkeit ist wohl genetisch bedingt. In der Tat sprachen wir in all diesen 50 Jahren der Sowjetzeit kein Deutsch mehr zu Hause. Das muss man bedenken. Ich sprach nur mit meiner Mutter manchmal auf Deutsch. Mit meinem Mann aber nicht, obwohl er ausgezeichnete Sprachkenntnisse hatte.
  2. Aber wir waren bereits an Russisch und Lettisch gewöhnt, also kein Deutsch. Trotzdem, als ich hierher kam, begann ich (Deutsch) zu sprechen, als ob es gestern gewesen wäre, es war kein Problem. Mit den anderen Sprachen sieht es genauso aus, z.B. mit Lettisch. Ich lebe bereits seit 20 Jahren nicht mehr in Lettland und spreche mit keinem hier Lettisch.
  3. Wenn Sie jetzt mit mir Lettisch sprechen würden, würde ich Ihnen genauso antworten wie auf Russisch und Deutsch. Meine Englisch-, Italienisch- und Französischkenntnisse bleiben auf dem Niveau, das ich in der Jugend erreicht habe. Ich glaube, ich beherrsche drei Sprachen wie meine Muttersprache. Dann kommen drei Sprachen, in denen ich mich frei unterhalten kann: Englisch, Französisch und Italienisch. Das ist kein Problem. Gut, mal fehlt mir ein Wort, mal ist der Ausdruck nicht ganz korrekt, das ist schon wahr. Aber ich kann reden.
  4. Ich kam nach Deutschland, nachdem meine Verbindung mit der deutschen Kultur und den Deutschen lange unterbrochen war. Natürlich fand ich ein anderes Deutschland, andere Deutsche und sogar eine andere Kultur vor. Ich erkläre mir das aber nicht so, dass die deutsche (Kultur) sich verändert hat, sondern die Zeit hat sich verändert. Wir können die 1920-er und 1930-er Jahre mit der heutigen Zeit nicht vergleichen.
  5. Die Römer haben gesagt: „Tempora mutantur nos et mutamur in illis“, die Zeiten ändern sich und wir mit ihnen. Und unsere Zeit ändert sich viel schneller als in der Vergangenheit. Daher fand ich natürlich ein etwas anderes Deutschland vor, ich empfand das als eine Veränderung durch die Zeit. Genauso veränderten sich Frankreich, Italien und die anderen Länder und alle Leute.
  6. Schauen Sie, welche Musik begeistert heute im Fernsehen, und nicht nur junge Menschen, sondern auch die Älteren. Das sind völlig andere Interessen, ganz andere Auffassungen, was gut und was schlecht ist. Ich sage lieber nicht gut und schlecht, ich sage schön und nicht schön, zulässig und unzulässig. Alles ändert sich und ich nehme das eben so wahr. Es ist so: Nicht die Deutschen haben sich verändert, sondern die Welt hat sich verändert.