Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Mein Vater war Lehrer für Physik und Mathe. Nach meiner Geburt wurde meine Mutter Hausfrau. Denn ich hatte einen um acht Jahre älteren Bruder. Unsere Familie war sehr gut. Ich glaube, aus der Vorkriegszeit habe ich nur glückliche Erinnerungen. Wir hatten zwei schöne Zimmer in einem guten Stadtteil. Gegenüber war ein sehr schönes Bankgebäude.
  2. Ich ging in den Kindergarten, von da ab habe ich Erinnerungen. Der Kindergarten lag am Ufer des großen ukrainischen Flusses Dnepr. Eine Erzieherin da war meine Tante, ich trat da immer auf und weiß noch die Gedichte, die ich rezitierte – Gedichte über Stalin. Stalin war für uns tatsächlich ein großer und vertrauter Mensch. „Moskau die Hauptstadt schläft / In dieser stillen Sternenstunde / Kann nur Stalin nicht schlafen / Stalin denkt an uns.“
  3. Der Vater war immer beschäftigt, er war Klassenlehrer und gab wie alle Lehrer zusätzlichen Unterricht. Daher ließ er sich selten blicken. Ich habe nur lichte Erinnerungen an ihn: Er spielte mal mit mir, ich war noch ziemlich klein. Er schloss und öffnete die Augen, als ob er Angst hätte. Dann schlief er ein, weil er sehr müde war. Und Mama erledigte alles, sie war sozusagen der Chef im Hause. Sie kaufte ein und kochte.
  4. Als Kind bemerkte ich das nicht, aber wir wohnten in einer großen Gemeinschaftswohnung. Ich erfuhr das (dann) von meinem Bruder. Neben uns wohnten noch einige Paare, es gab eine gemeinsame Küche. In der Wohnung gab es weder Wasser noch Toilette. Alle kochten auf einem Petroleumkocher in der Küche. Es war die erste Etage und eine hohe Holztreppe führte von draußen dahin.
  5. Vor unserem Hauseingang war eine große Terrasse. Das weiß ich noch, denn einmal wurden Klappbetten auf der Terrasse aufgestellt. Ich erinnere mich an den Sternenhimmel und wie alle sagten: „Wie schön, dass Friede herrscht. Und wenn der Krieg kommt?“ Und ich stellte mir vor, Fallschirmspringer kommen vom Himmel herunter. So eine Vorstellung vom Krieg hatte ich. Was noch über die Vorkriegszeit? Meine Mutter bestrafte mich oft, ich war kein besonders artiges Mädchen.
  6. Der Bruder war mein Kindermädchen und ich weiß noch, wie die Mutter schrie: „Wo ist das Kind?“ Er erzählte mir, wie ich oft von ihm weg die Treppe hochgelaufen war. Mein Bruder ging (da) zur Schule, er ist Jahrgang 1927. Am 22. Juni (1941) ging das Schuljahr gerade zu Ende, er beendete die 7. Klasse und bekam sieben Belobigungsurkunden. Er war ein sehr guter Schüler auf der ukrainischen Schule.