Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Ich beendete die 5. Klasse. Natürlich bat ich dann meine Schwester, in meine Kolonie fahren zu dürfen. Sie war lange nicht einverstanden, aber am 17. Juni fuhr ich doch dahin. Es ist nicht weit von Donezk, ich war nur eine Nacht unterwegs. Ich kam natürlich wie nach Hause, ich hatte viele Verwandte da, Onkeln und Tanten. Alles war scheinbar in Ordnung. Drei Tage später, am 22. Juni, brach der Krieg aus.
  2. Es war ein Sonntag, das wissen alle. Aber schon vorher war alles angespannt, man spürte, dass etwas Ungutes in der Luft liegt. Mein Onkel hatte einen Rundfunkempfänger, eine Seltenheit im Dorf. Er kostete damals 800 Rubel, das war sehr viel Geld. Wir schalteten den Empfänger ein und öffneten das Fenster. Genau um 12:00 wurden die Luftangriffe und der Krieg bekannt gegeben.
  3. Der erste Tag war noch ruhig. Zwei Tage später flogen die deutschen Flugzeuge über Kriwoj Rog. Die Flaks schossen auf sie. Die sowjetischen Truppen zogen sich zurück. Unsere Kolonie lag auf dem Weg zum Dnepr, aber auf keiner Hauptstraße. Die Straßen waren jedoch überfüllt und so ging man da auch entlang.
  4. Die Truppen gingen zu Fuß, nur manchmal zogen Pferde Kanonen oder es fuhr ein Funkwagen vorbei. Die meisten gingen aber zu Fuß. Es waren Tausende, sie stoppten bei uns und holten sich Brunnenwasser. Die Bewohner brachten ihnen Äpfel, Weintrauben und Gurken – alles, was sie im Garten hatten. Alle wollten schnellstens ans andere Dneprufer.
  5. Was ich noch nicht erzählt habe: Wir versuchten uns zu evakuieren. Zunächst durften wir nicht, weil die Dneprbrücke nur für Soldaten vorgesehen war. Und für das Vieh, denn in den ersten Kriegstagen wurde angeordnet, das Vieh nach Osten zu treiben. Als wir es endlich durften, war es schon zu spät. Die Deutschen holten uns ein und nahmen uns alles weg. Es waren nicht unbedingt die Deutschen, sondern die örtliche Polizei. Wir kehrten dann mit dem Gepäck in unsere Kolonie zurück.