Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Nach der Verhaftung des Vaters – ich war wieder in Kiew – ging ich zum NKWD, um über Papa mehr zu erfahren. Denn wir hatten keine Briefe von ihm und keinen Kontakt zu ihm. Und der Mann – ich weiß nicht, was für einen Rang er hatte – sagte zu mir: „Du musst dich von deinem Vater lossagen. Du bist Komsomolzin.“
  2. Ich sagte: „Nein, ich bin keine Komsomolzin.“ Übrigens wurde mir angeboten, dem Komsomol beizutreten. In meiner Schule war die Leitung aber wohl ziemlich liberal. Mir wurde angeboten, dem Komsomol beizutreten, als ich das jedoch ablehnte, bestand keiner mehr darauf.
  3. Ich kann sagen: In der Schule wurde ich nicht besonders behandelt. Damals gab es eine Schulregel: Die Eltern mussten jede Woche im Aufgabenheft ihrer Kinder gegenzeichnen. Da meine Eltern nicht da waren, zeichnete keiner mein Aufgabenheft gegen und keiner achtete darauf.
  4. Das Verhältnis zu mir war in der Schule also ziemlich gut, ich spürte keine Diskriminierung. Nun über den NKWD – „Du musst dich von deinem Vater lossagen. Er ist ein Volksfeind.“ Ich fragte dann: „Und was hat er verbrochen?“ – „Er ist ein Volksfeind!“ Es kam zu einem Gezänk, jeder von uns sagte immer wieder dasselbe.
  5. Das dauerte ziemlich lange. Danach legte er (der NKWD-Mann) ein Blatt Papier und einen Stift vor mich. Oder er hatte das schon früher da hingelegt. Er schloss die Tischschubladen ab und sagte: „Schreib!“ Er verließ den Raum und schloss die Tür von außen ab.
  6. Ich weiß nicht, wie lange ich vor dem Papier saß. Als er eintrat, fragte er mich streng: „Nun, hast du es geschrieben?“ Ich sagte: „Nein, ich weiß ja nicht, was er verbrochen hat.“ Er drückte einen Knopf und ins Zimmer trat ein Soldat. Ich dachte, ich werde verhaftet.
  7. Denn damals waren die Waisenhäuser – ich war noch minderjährig – eigentlich Gefängnisse. Er sagte jedoch: „Wirf dieses Miststück auf die Straße!“ Ich gebe zu, als ich draußen war, war ich ganz verwirrt.
  8. Als ich eine Weile später zu mir kam, war das an einem ganz anderen Ort, als ich wollte. Ich schaute mich um und dachte: „Wie komme ich hierher?“ Ja, so eine Episode gab es in meinem Leben. Daher verurteile ich die nicht so sehr, die sich losgesagt haben. Ich habe mich aber nicht losgesagt.