Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Ich war natürlich der Meinung, dass es unmöglich ist, unter den Deutschen zu leben. Wie man allgemein weiß, rückten die Deutschen sehr schnell vor und besetzten in wenigen Tagen ein riesiges sowjetisches Gebiet. Es ist bekannt, dass Minsk am dritten Tag eingenommen und auch die Ukraine zum großen Teil von den Deutschen besetzt wurde.
  2. Daher beabsichtigte ich, in den Osten zu fliehen. Meine Tanten… In dieser Zeit war der Onkel bereits in der Armee. Und die Tanten wollten zuerst nicht weg (später aber schon). Ich sagte: „Wie ihr wollt, ich gehe zu Fuß fort.“ Kiew liegt am Westufer des Dnepr, sodass es nicht einfach war, in den Osten zu gehen.
  3. Die Brücken wurden bewacht und man durfte sie nicht zu Fuß passieren. Irgendwann Anfang Juli, das war wohl am 10. oder 12. Juli, gingen meine Tanten und ich zum Bahnhof. Wir nahmen sehr wenige Sachen mit, ich hatte nur einen Rucksack. Ich packte alles rein, was ich für nötig hielt.
  4. Vom heutigen Standpunkt aus gesehen, finde ich, dass ich ein äußerst vernünftiges Fräulein war. Es war im Juli und bedenken Sie, dass ich ganz jung war. Ich packte den Wintermantel in den Rucksack, auch Unterwäsche und noch die Fotos. Ich, zwei Tanten und meine kleine achtjährige Cousine gingen dann zum Bahnhof, ohne irgendwelche Papiere zu besitzen.
  5. Vor dem Bahnhof drängten sich sehr viele Menschen wie wir zusammen. Sehr viele schleppten aber ihre (ganzen) Sachen mit, während wir keine dabei hatten. Ich glaube, meine Tanten hatten auch je einen Rucksack und noch einen Koffer mit. Und ein Mädchen, während ich schon erwachsen war.
  6. Wir gelangten durch die Menge zum Eingang, wo überwiegend auch Frauen wie wir waren, wir kämpften uns durch. Vorne drückte jemand auf das Tor, das Tor brach zusammen, und die Menge strömte auf das Gleis. Da stand ein Güterzug, und alle Frauen stiegen ein, auch wir stiegen in einen Güterwagen ein. Eine Weile später kamen die Soldaten und schlossen den Wagen.
  7. Und sie drängten wohl die Menge ab, die noch da war, das weiß ich nicht genau. Wir waren in einem überfüllten Güterwagen, der Zug wurde zwei Tage lang von einem Gleis auf das andere verschoben. Wir blieben in der Zeit drin, keiner zwang uns den Wagen zu verlassen.
  8. Zwei Tage später fuhr der Zug in den Osten, was uns äußerst erfreute… Wie das organisiert war, weiß ich nicht, aber wir erhielten ein wenig zu essen. Irgendwo an den Bahnhöfen bekamen wir eine Suppe oder Wasser und manchmal Brot. Es gab da keine Vorschriften, die Behörden sorgten aber irgendwie für die Verpflegung dieser Frauen und Kinder.