Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Es war unser Glück, dass ein Ghettoleiter kam… Es waren ja viele Leute, wohl um die 2.000 oder 3.000 (im Ghetto). Darüber wurden (später) Bücher geschrieben, ich habe einige gelesen. Was ich damals sah, war natürlich nur ein Bruchteil, bei weitem nicht alles. Denn ich war nicht so wie die Erwachsenen daran interessiert, mich umzuschauen und zu analysieren.
  2. Ich kann nur erzählen, was ich sah. Ich weiß nur eines: Um das Ghetto zu leiten, wurde eine Gemeinde gebildet. Ihr stand ein rumänischer Jude vor, Dr. Gershman. Er war von Beruf Anwalt. Er hatte (früher) einen Prozess für seinen – sagen wir mal – Kameraden gewonnen. Und dieser Kamerad wurde im Krieg ein wichtiger Bonze.
  3. Also der Mann, den er (Dr. Gershman) vor dem Gefängnis gerettet hatte, wurde ein wichtiger Bonze. Shmerinka wurde dann rumänisch. Und Brailow – nur fünf Kilometer weiter – nicht, und da wurden alle Juden vernichtet. (Der Bonze) unterstützte Doktor Gershman. Trotzdem ließ der uns auf dem Platz versammeln und sagte, wir müssen die Wertsachen abgeben. Es gab ja auch Reichere, die Gold versteckten.
  4. Sie gaben wohl etwas ab. Wenn wir uns versammeln mussten, sagte mir meine Mutter: „Ab loif!“ Das ist Jiddisch für: „Lauf weg!“ Ich wusste, wohin – da war ein ukrainisches Paar in Bolschaja Shmerinka, ich kannte ihr Haus. Wir wussten, dass Juden vernichtet wurden. Denn als die Juden aus Stanislavchik und den Dörfern zur Erschießung geführt wurden, riskierten manche die Flucht und versteckten sich im Ghetto. Wir wurden dann versammelt, damit wir sie verraten.
  5. Also, es gab eine Selbstverwaltung, und wenn etwas passierte, wurden alle Fragen da geregelt. Es wurde eine jüdische Polizei aufgestellt, mit Stöcken bewaffnet. Sie trugen eine schwarze Binde am linken Arm. Wir alle trugen auch eine schwarze Armbinde und einen gelben Judenstern. Das war die Kennzeichnung der Juden. Ich glaube, im Ghetto gab es keine andere Bewachung, das taten unsere Polizisten.
  6. Ich wurde mal erwischt, als ich unter dem Stacheldraht hinaus wollte. Ich wurde in die Gemeinde abgeführt und der Doktor hat mich ordentlich geschlagen. Es war im Winter. Er schlug mich so heftig, vier Polizisten hielten mich fest. Ich schrie wohl ganz wild, ich war ja 10 oder 11 Jahre alt. Man kann sich vorstellen, wie mager ich war, da es nichts zu fressen gab. Er schlug mich und zählte auf Rumänisch: „Uno, du, tre“ usw. Er tat es mit Genuss, ohne Eile – so ein Typ war er.
  7. Nachdem sie mich haben laufen lassen, rannte ich nackt durch den Schnee. Ich war in so einem Zustand, hatte so eine Angst, dass ich ganz nackt in der Kälte nach Hause lief. Noch einen ganzen Monat danach konnte ich nicht sitzen und zu mir kommen. Das war ein Schock.