Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Alle Familien erhielten Bescheinigungen. Ich habe so eine, meine Mutter hat sie aufbewahrt. Da steht: Die und die mit Kindern fährt ins Hinterland. Es war auch angegeben, dass sie die Frau eines Armeeangehörigen ist oder von einem unterhalten wird. Alle Behörden werden gebeten, Hilfe auf der Fahrt ins Hinterland zu leisten. Dank dieser Bescheinigung – so verstehe ich das – bekamen wir Plätze in einem der Züge. Ich denke, das war einer der letzten Züge. Das Ziel, das vorgesehen war, kenne ich nicht, weiß aber, dass man meistens bis hinter den Ural, nach Sibirien und Zentralasien fuhr.
  2. Der Zug fuhr natürlich langsam, da Züge mit Truppen und Ausrüstung entgegenkamen. Die Fahrt zog sich in die Länge, und unsere Vorräte gingen zu Ende. Das Geld ging auch aus. An den Bahnhöfen wurde etwas verkauft, die Leute brachten Lebensmittel zum Bahnhof. Unser Geld ging aber aus. Noch eine Episode: Mir wurde ein Teekessel anvertraut. Während eines Haltes musste ich – natürlich nicht alleine, sondern in Begleitung der Nachbarn aus dem Zug – zum Bahnhof gehen. Da gab es heißes Wasser – normalerweise.
  3. Ich musste den Teekessel füllen und zurückkehren. Die Abfahrtszeit war nie gewiss, die kam immer plötzlich. Die Lok pfiff, alle draußen rannten zu den Wagen und stiegen ein. In so einem Wirrwarr verlor ich den Teekessel und weiterhin bekamen wir heißes Wasser wohl von den Nachbarn. Als die Vorräte zu Ende waren, entschied meine Mutter: egal, was kommt… Damals war es nicht erlaubt vorzeitig auszusteigen, man musste zum vorgegebenen Ziel fahren. Meine Mutter sagte: „Weiter fahren bedeutet Hungertod…“ Wir fuhren gerade über Kuibyschew, als sie entschied: „An der nächsten Station steigen wir aus.“ So machten wir es auch.