Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Sie hatten schon den größten Teil des Weges hinter sich. Bisher hatten sie Glück gehabt und hofften, dass es auch weiterhin so ginge. Vielleicht machte sie das etwas unachtsam. Eines Tages – wie er schreibt – gingen sie einen sanften Hang empor und sahen auf der Höhe eine deutsche Streife.
  2. Da sie auf offenem Gelände waren, konnten sie sich nicht verstecken. Die Streife verlangte natürlich nach den Papieren. Da sie keine Papiere hatten, wurden sie in das nächste Dorf geführt. Von da aus kamen sie mit anderen Ergriffenen ins Kreiszentrum, wo sie sozusagen auf ihr Los warteten.
  3. Noch in Odessa, als die Juden registriert wurden, war man in ihre Häuser gekommen und hatte überprüft, ob sie registriert waren. Damals war mein Onkel gezwungen, alle seine Papiere zu verbrennen. Er konnte aber einen Pass mit einem anderen Namen bekommen. Er schaffte es irgendwie – er klebte sein Bild da ein –, dass der Pass glaubwürdig aussah, auf den ersten Blick sozusagen. Er hatte nur dieses Dokument dabei, als sie verhaftet wurden.
  4. Die Verhafteten wurden dann verhört und er stand vor einem Offizier, der einen polnischen Dolmetscher hatte. Verhaftet wurden Leute im wehrpflichtigen Alter. Es war offensichtlich, dass sie in einen Kessel geraten waren, also, sie waren Armeeangehörige. (Der Onkel) erzählte seine Legende, dass er bei einer rückwärtigen Truppe gewesen wäre und nicht gekämpft hätte.
  5. Er glaubte, das könne ihm helfen, ein Kriegsgefangenenlager zu umgehen. Es half ihm aber nicht, er wurde ins Lager geschickt. Zusammen mit anderen ging er in einer Kolonne unter Bewachung von einigen ukrainischen Polizisten und – wie ich glaube – zwei deutschen Soldaten, die hinten gingen.
  6. Er kam in eine größere Stadt, Gluchow, wo sich ein sehr bekanntes Kriegsgefangenenlager befand. Sehr viele Kriegsgefangene verhungerten dort. Er beschreibt, wie Polizisten und Deutsche einen Juden in der Kolonne erkannten. Er trug einen Militärmantel und ging in der Kolonne hinten. Er wurde die ganze Zeit verhöhnt, musste irgendwelche Liedchen singen und…
  7. Also, er wurde misshandelt, im wahrsten Sinne des Wortes. Schließlich wurde er erschossen. Genauso erschossen wurde ein… (Mein Onkel) schreibt: Als der Jude erschossen wurde, sagte jemand in der Kolonne: „Hörst du? Der kleine Shid wurde erschossen.“ Etwas später wurde noch einer in der Kolonne…
  8. Er war kein Jude, aber wohl verwundet, er hatte keine Kraft mehr, um weiter zu gehen. Er bat: „Jungs, gebt mir zum Schluss eine zu rauchen…“ Er rauchte die Zigarette zu Ende und blieb zurück. Sofort ertönte ein Schuss. (Mein Onkel) schreibt: „Ich schaute die Leute an. Sie begriffen, dass nicht nur die Juden es schwer haben werden.“