Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Ach ja, es gab noch eine Sache, Mama lebte damals noch. Papa kam mal vom Markt, wo er Kinderhosen verkauft hatte. Plötzlich lief ihm eine Frau nach, die mit einer löchrigen Decke bedeckt war.
  2. Sie rief: „Genosse Kislyuk!“ Papa schaute sich um und kannte sie nicht. Sie sagte: „Sie kennen mich nicht, aber ich Sie.“ Mein Vater war ja stadtbekannt. Er fragte, wer sie sei.
  3. Sie hieß Enja Gerschenson, ich erinnere mich noch an ihren Namen, weil sie einige Monate bei uns in Samarkand gewohnt hat. Und wir teilten die Brotration unter uns allen auf. Papa bekam ein Brot für die ganze Familie.
  4. Er schnitt es längs durch. Eine Hälfte aßen wir zum Frühstück, die andere Hälfte später. Er teilte es in Teile, und jeder dachte: „Welches Stück soll ich greifen? Welches ist größer?“ Die Ration wurde natürlich mit dieser Frau geteilt, sie wohnte drei Monate bei uns.
  5. Bei einem Luftangriff auf den Zug während der Evakuierung hatte sie ihre drei Kinder verloren und sie suchte nach ihnen. Ihr wurde gesagt, dieser Zug wäre nach Zentralasien gefahren. Mein Vater machte Suchanfragen und sie fand ihre Kinder in Buchara. Sie alle waren im Waisenhaus und sie fuhr dann zu ihnen.
  6. Dort hatte sie es leichter als wir, sie arbeitete und aß im Waisenhaus. Sie kam dann nach Kasatin und die ganze Stadt wusste, dass mein Papa ihr das Leben gerettet hatte. Die Leute starben da nachts auf der Straße. Keiner in der Stadt außer uns wollte sie zu sich nehmen.