Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Also, wir waren in Odessa, das am 10.4.(1944) befreit wurde. Im April wohnten wir noch bei meiner Freundin. Ich weiß nicht mehr wann, aber recht bald kam mein (späterer) Mann. Er arbeitete sein Leben lang im Kraftwerk. Der Direktor und einige Ingenieure des Kraftwerkes waren der Frontlinie gefolgt, um es sofort wiederaufzubauen.
  2. So war er bald da und kam im Hotel Krasnaja unter. Dem Hotel gegenüber wurde die erste Industrieverwaltung eingerichtet, da wurden per Anzeige Buchhalter und andere Fachkräfte gesucht. Da Polina meine Sachen aufbewahrt hatte, zog ich anständige Kleidung an und bewarb mich da. Ich wurde empfangen und bekam eine Stelle in der Genossenschaft „Chalva-Macher“.
  3. Als ich in der Verwaltung saß, sah ich plötzlich durch das Fenster meinen Mann aus dem Hotel herauskommen. Er wollte zu dieser Verwaltung, er wusste schon, wo ich bin. Und wir trafen uns. Die ersten Tage wohnten wir aber noch bei meiner Freundin, er und ich. Wir gingen gleich zum Standesamt und schlossen die Ehe.
  4. Er bekam dann für die erste Zeit ein Zimmer im Haus beim Kraftwerk. Es hatte keinen Komfort, früher war dort eine deutsche Kaserne oder so. Viele Kraftwerksmitarbeiter zogen da ein. Wir hatten ein Zimmer und da begann unser Familienleben. Kurz danach kam meine Schwester, sie war aus Moskau evakuiert worden. Die zweite Schwester nicht, sie blieb in Moskau. Etwas später traf der Mann meiner Schwester ein, mit seiner Militäreinheit, wo er in der Nachrichtenabteilung arbeitete.
  5. Sie waren unter den ersten und sollten vorwiegend Militärobjekte wiederaufbauen. Außerdem gab es da eine Baubrigade, die nebenbei Wohnungen für Soldaten und Offiziere einrichtete. Sie trafen sich, wobei das Gepäck meiner Schwester unterwegs verloren gegangen war. Sie hatte nichts dabei, das Gepäck war weg. Am nächsten Tag gingen sie auf den Markt und kauften Kleidung. Ihr Mann bemühte sich inzwischen um eine Wohnung. Und wir bekamen eine.
  6. Das war eine Gemeinschaftswohnung, sie hatte sechs Zimmer, in denen wohnten sechs Familien. Wir bekamen jeweils ein Zimmer. Nach dem Krieg, nach dem Ghetto und all den Strapazen schien uns das Zimmer ganz gut zu sein. Es gab eine Toilette und sogar ein Bad. Das hatten wir all die Jahre nicht. Und wir waren mit der Unterkunft zufrieden.
  7. Meine Schwester bekam einen Sohn am Feiertag, am 9. Mai (1945). Für uns bedeutete dies eine doppelte Freude. Wie hatte sich die Stadt auf den Tag des Sieges gefreut, Sie können sich das nicht vorstellen! Wir gingen zum Geburtshaus bei Sonnenaufgang, so um 5 oder 6 Uhr. Die Straßen waren voll mit Leuten, sie umarmten und küssten sich, weinten und freuten sich.
  8. Das war, wie es in einem Lied heißt: ein Fest mit Tränen in den Augen. Wir kamen dann in das Geburtshaus und erfuhren, dass ein Sohn geboren wurde. Die Freude war groß. Im Oktober kam meine Tochter auf die Welt. Wir wohnten in der Gemeinschaftswohnung noch mehrere Jahre. 15 Jahre, richtig? Die Kraftwerksdirektorin ließ ein Haus bauen, sieben Jahre lang.
  9. All die Jahre warteten wir auf eine Wohnung im Haus. Tatsächlich bekamen wir dann eine Wohnung, wir zogen dort ein. Meine Schwester und ihre Familie wohnten noch in der Gemeinschaftswohnung, sie bekamen ein weiteres Kind. Erst später bekamen sie eine (andere) Unterkunft. Also: Es begann ein friedliches Leben.