Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Unser Enkel wurde erwachsen. Es kam die Zeit, das versteht sich von selbst, in der Armee zu dienen und dann zu studieren. Das war wieder problematisch. Das Land erlebte eine Zeit der Wirren, das war in den 1990er-Jahren. Die Wirtschaft brach zusammen, die politische Lage war angespannt. Alle wirkten irgendwie verloren. Und die Auswanderung war nun möglich. Die Leute fuhren nacheinander fort. Wir machten uns auch Gedanken darüber.
  2. Mein Neffe lebte in Moskau. Jemand schrieb „Shid“ mit großen Buchstaben an seine Tür. Seine Kinder wurden beschimpft. Im Allgemeinen war es uns nicht wohl zumute. Wir sahen keine Möglichkeiten, keine Perspektive für meinen Enkel, und auch für uns. Wir beschlossen auch auszuwandern. Die Sache ist die: Meine Schwester und die Familie ihres Sohnes… – sie alle gingen noch vor uns nach Deutschland. Sie schrieben uns Briefe, schilderten die Lage und die Lebensbedingungen. Uns passte alles und wir entschieden uns auszuwandern.
  3. Auch in Odessa war die Lage (damals) sehr angespannt. Wissen Sie, die Deutschen hatten es sehr aufgerüttelt… Zu Beginn der Sowjetmacht bekamen die Juden alle Freiheiten, alle gingen studieren und durften überall arbeiten. Es gab die Freiheit und die Juden nahmen es gut auf. Später kamen allmähliche Veränderungen, das war bereits vor Hitler. Ein Mädchen war mir mal in der Schule böse und rief: „Jüdin!“ Sie traute sich nicht „Shidowka“ zu sagen. Denn es war unter der Sowjetmacht verboten. Später lösten sich die Zungen und es ging los.
  4. Wir schämten uns einfach zu sagen, dass wir Juden sind. Als wir nach Deutschland kamen, schämten wir uns nicht mehr. Die Sache ist die: Hier höre ich, dass die Deutschen Ausländer nicht mögen. Ausländer – Juden werden da gar nicht hervorgehoben. Sie mögen genauso nicht die Polen, Jugoslawen und alle anderen. Warum? Das ist kein national geprägter Hass, sie meinen, dass die ihnen Arbeitsplätze wegnehmen. „Deswegen brauchen wir sie nicht.“ Die Leute am Stammtisch verstehen nichts von der Politik.