Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Im Minsker Ghetto gab es eine große Untergrundorganisation. Und von Anfang an… Ich habe eine Kopie des Dokumentes mit der Unterschrift von Smoljar. Da geht es darum, die Leute herauszubringen und zu retten.
  2. Man wollte im äußersten Fall der Vernichtung viele Leute aus der Stadt zu den Partisanen bringen. Die ersten Leuten verließen die Stadt bereits im November 1941 und gingen in den Untergrund. Einer von ihnen starb vor einem Monat in Schwerin, das waren drei Brüder, die entwischten.
  3. Die Partisanenbewegung steckte damals in Weißrussland erst in den Anfängen. Das waren vor allem Leute, die eingeschlossen und gefangengenommen worden waren. Und auch ehemalige Partei- und Staatsfunktionäre, die Angst hatten, sie könnten für ihre frühere Tätigkeit hingerichtet werden. Und Polizeimitarbeiter.
  4. Sie nahmen nur junge, gesunde Menschen mit Waffen auf, das waren kleine Gruppen. Es gab einen Bericht von Smoljar, dem Untergrundleiter, an das Stadtparteikomitee: „Wir sind bereit, die Leute herauszubringen. Die Begleiter können aber die Leute nicht zu den Partisanen bringen.“
  5. Und man sah ein: Man musste versuchen, eigene (Partisanen-)Gruppen zu bilden. Bei den Partisanen gab es nur einzelne Juden. Alte Menschen, Frauen und Kinder wurden nicht aufgenommen, man brauchte sie nicht, und sie fielen zur Last, das ist klar. Nach dem Pogrom am 2. März (1942) stellte sich wiederum die Frage: (Die Leute) mussten gerettet werden.
  6. Im März und April verließen einige Gruppen Minsk. Dann kam der Befehl der Untergrundorganisation: „Nicht zurückkommen. Wer zurückkommt, ist ein Verräter. Ihm droht die Beseitigung.“ Nun, die kommunistischen Befehle waren halt so. Bei den Partisanen wurden nicht alle aufgenommen und manche sogar erschossen.
  7. Und zwei von der Leitung der Untergrundorganisation, Bruslin und Feldman… Sie bekamen Erfrierungen unterwegs und wollten zurück ins Ghetto, wo man behandelt werden konnte. Sie gerieten dann in eine Falle und wurden erschossen.
  8. Im April gingen aber 30 Leute mit Waffen hinaus, sie bildeten eine der Partisanengruppen, die sich dann mit einer nichtjüdischen Gruppe zusammenschloss. Das Verhältnis war da nicht einfach.
  9. Was passierte weiter? Das Ghetto wurde kleiner. Und die Untergrundleiter starben auch, die Untergrundzugehörigkeit rettete sie ja nicht vor dem Tod. Nach einem Verrat verhafteten die Deutschen Rolwin und richteten ihn hin.
  10. Mama wurde an seiner Stelle Leiterin der Zehn-Leute-Untergrundgruppe. Die Leute aus Mamas Gruppe… Einer lebt noch in New York und die andere lebt noch in Minsk. Sie arbeiteten in den deutschen Waffenwerkstätten und schmuggelten unter Lebensgefahr Waffenteile heraus, mal im Stiefel, mal am Körper.
  11. Das waren Gewehrverschlüsse und -lademechanismen. Denn die Partisanen fanden mal einen Gewehrlauf im Wald. Das Holzteil konnte man selbst anfertigen, die Mechanik aber nicht, das war von großem Wert.
  12. Manchmal gelang es, eine ganze Waffe herauszuschmuggeln. Die Deutschen erlaubten den Arbeitern, die Reste der Holzkisten mitzunehmen, um damit zu heizen. So konnte man Gewehrläufe herausschmuggeln.
  13. Diese Frau schmuggelte einen zerlegten tschechischen Karabiner heraus. Sein Lauf ist kurz. Und sie ging mit ihm zu einer Partisanengruppe, Zilja Botwinnik. Über sie wird viel geschrieben. Die Waffen wurden ins Ghetto gebracht.
  14. Manchmal wurden diese Päckchen zu uns nach Hause gebracht. Wenn Mama nicht da war, wurden sie unter mein Kissen gelegt. Und ich wusste: Das hat Tante Zilja gebracht und ich muss hier liegen, so als ob ich krank wäre, bis das abgeholt wird.
  15. (Die Waffen) wurden der Reihe nach weiter gereicht. Als im Ghetto 9.000 Leute übrig geblieben waren, versuchten sie in die Umgebung zu fliehen.
  16. Als die Partisaneneinheiten 1943 schon besser organisiert waren, schickten sie die „Schmuggler“ ins Ghetto. Die meisten waren Heranwachsende und junge Frauen. Sie mussten an allen Wachposten vorbei nach Minsk gelangen und ins Ghetto kommen.
  17. Das war kein Problem, sie trugen das jüdische Zeichen und gelangten mit einer Arbeitskolonne herein. Man traf Vorbereitungen, die Leute herauszubringen, und (die Partisanen) verlangten nach Ärzten. Die Partisanen brauchten Ärzte, Medikamente und Verbandszeug. Und sie baten um Schreibmaschinen, als ob sie zu kaufen wären.
  18. Aber man klaute und brachte sie dahin. Diese „Schmuggler“ brachten die Gruppen heraus. Das wurde von den Untergrundkämpfern organisiert, die noch im Ghetto waren. Und manche Leute flüchteten alleine, aus der Stadt herauszugehen war nicht schwer. Sie bildeten Gruppen und versuchten, irgendwie im Wald zu überleben. Die Bevölkerung half ihnen.