Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Nach Mamas Tod verblieben die Dokumente zu Hause, bei mir kam ein großes Archiv zusammen. Und als jüdische Organisationen in Moskau und Weißrussland gegründet wurden, begannen wir damit, an uns zu erinnern. Denn es gab Probleme, wir wurden nicht anerkannt.
  2. Es gab eine Lenin-Organisation, und die „Kriegskinder“, die in KZs waren, bekamen Vergünstigungen. In Moskau wurde aber entschieden: Wer als Kind im Ghetto war, gehört nicht dazu. Der russische Journalist und Schriftsteller David Gaj kam zu uns und nahm Kontakt zu mir auf.
  3. Er schrieb ein Buch über das Minsker Ghetto, das in der Zeitschrift „Snamja“ abgedruckt wurde: „Der neunte Kreis“. Neulich erschien sein Buch in Übersetzung in New York.
  4. Wer versammelten uns dann und wollten uns mit anderen zusammenschließen. Im Januar 1991 trafen wir uns in Moskau mit Leuten aus Odessa, Lettland, St. Petersburg. Wir, die 20 Ghettohäftlinge, kamen zusammen und beschlossen, eine eigene Organisation zu gründen.
  5. Wir wollten uns nach außen wenden und unsere Rechte geltend machen. Wir fanden Sponsoren, und am 6.6.1991 wurde in Odessa die Vereinigung ehemaliger jüdischer Ghetto- und KZ-Häftlinge gegründet.
  6. Ich war einer von drei Kongress-Moderatoren. Gleich nach der Gründung strebten wir nach der Anerkennung durch die Claims Conference in Deutschland. Denn die Sowjetunion und Polen waren früher von der Claims Conference abgeschnitten.
  7. Wir mussten dann viel dafür kämpfen. Und es kam so, dass ich bei der Sache aktiv mitmachte. Wir gründeten die Vereinigung ehemaliger Ghettohäftlinge in Weißrussland. Ich war ihr erster Präsident und dann Ehrenpräsident. Diese Organisation existiert heute noch.
  8. Inzwischen gab es einige Umbenennungen: In Weißrussland darf sich keiner Präsident nennen außer Lukaschenko, den ich sehr liebe. Wir wurden einmal zusammen fotografiert.
  9. Ich war in Kontakt mit der Claims Conference, die kamen zu uns aus Amerika, und ich war in Frankfurt. Wir wandten uns an deutsche Abgeordnete; Winfried Nachtwei half uns, die Frage im Bundestag anzusprechen.
  10. Ich nahm an der Londoner Nazi-Gold-Konferenz 1997 teil, es hatte sich so ergeben. Und in Yad Vashem besuchte ich 1992 einen dreimonatigen Holocaust-Kurs, ein gutes Seminar.
  11. Meine Beschäftigung mündete in Veröffentlichungen über die Geschichte der Partisaneneinheit, über das Minsker Ghetto, den Widerstand und anderes. Ich beschäftigte mich schon damals damit. Und ich arbeitete als Arzt praktisch bis zur Auswanderung hierher 1998.
  12. Bald bin ich 12 Jahre hier. Ich leitete die Organisation, wir sammelten Erinnerungen und Fotos. Also, ich beschäftigte mich mit der Frage. Heute treffen wir uns in Moskau, Kiew, Odessa und Finnland. Das nächste Mal wird es in Israel sein, die internationale Organisation (lädt mich ein), ich bin da sozusagen geschätzt.
  13. Heute gibt es so eine Organisation auch in Deutschland, denn es gibt ein Problem: Die ehemaligen jüdischen KZ- und Ghettohäftlinge, die als Kontingentflüchtlinge kamen, werden in Deutschland staatlich nicht anerkannt.
  14. Wir haben hier gar keine staatliche Anerkennung. Es gab das Bundesentschädigungsgesetz, da wurden bestimmte Kategorien genannt und wir auch. Das Gesetz trat dann aber außer Kraft, und etwa 1.000 Leute hingen in der Luft. Vor einigen Jahren wurde die Organisation ehemaliger Ghettohäftlinge aus den GUS-Ländern gegründet.
  15. Und wir kämpfen. Ich bin immer noch stellvertretender Vorsitzender der Organisation. Wir kontaktieren verschiedene Stellen, führen Gespräche und schreiben an (Bundeskanzlerin) Merkel und andere. Wir führen interessante Gespräche, z.B. mit (Bundestagspräsident) Lammert, er kommt ja aus Bochum.
  16. Ich traf ihn im letzten Jahr, als die Wahl stattfand. Die gingen durch die Straßen und grüßten. Ich trat näher und sagte: „Herr Lammert, ich bin Holocaust-Überlebender.“ Er: „Gut.“ – „Ich lebe in Bochum, wir kennen Sie gut. Wir haben keine staatliche Anerkennung.“ – „Was sagen Sie? Ich leite die Stiftung (Denkmal) für die ermordeten Juden Europas.“
  17. Ich sagte: „Ja, richtig! Für die Ermordeten. Und für die, die noch leben?“ – „Ich kann nichts dazu sagen, auf Wiedersehen.“ Das ist das Problem. Allerdings gibt es jetzt einen Umschwung in Mecklenburg-Vorpommern: Der Landtag hat beschlossen, (uns) anzuerkennen und (eine Vorlage) dem Bundesrat vorgelegt. Das kommt aber langsam in Bewegung, die Leute sterben.