Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Nach dem Hochschulabschluss ergab es sich so, dass ich als Ingenieur in einem medizinischen Institut zu arbeiten begann. Damals stieg die Bedeutung der Technik in Medizin und Forschung und es wurde ersichtlich, dass die Ärzte und Biologen sie nicht beherrschten.
  2. Man brauchte Ingeniere, um mit den Geräten zu arbeiten. Und ich wurde als so ein Ingenieur für medizinische Technik eingesetzt. Das war ein Forschungsinstitut, die Abteilung für Biochemie.
  3. Das Institut war eine medizinische Versuchsanstalt, eine wissenschaftliche Einrichtung. Und da fanden regelmäßige wissenschaftliche Sitzungen statt, etwa jeden Monat.
  4. Auf so einer Sitzung waren alle Mitarbeiter mit Hochschulabschluss anwesend, egal welche Stelle sie hatten. Es gab sogar Laborangestellte mit Hochschulabschluss, auch sie nahmen an den Sitzungen teil. Und die Laborangestellten ohne Hochschulabschluss arbeiteten währenddessen weiter.
  5. Nach meiner Einstellung fragte ich den Chef: „Und was soll ich machen? Ich verstehe davon nichts, das ist wie chinesische Schriftzeichen für mich.“ Er sagte: „Gehen Sie hin und hören Sie zu.“ Ich begann dann mitzuhören und konnte zuerst nichts verstehen.
  6. Erst etwa nach sechs Monaten begann ich zu verstehen und noch später begriff ich: „Wenn ich nicht verstehe, was sie machen, verstehe ich auch nicht, was sie brauchen und was meine Aufgabe ist.“ Dann tat ich Folgendes: Ich ging an die Fakultät für Biologie auf der Uni.
  7. Ich machte kein Vollstudium, mir war nur erlaubt, Vorlesungen und Kurse zu belegen, die ich brauchte. Ich besuchte das Abendstudium und hörte die Vorlesungen und Kurse, die für mich wichtig waren, z.B. Biochemie.
  8. Und ich besuchte das alles vielleicht anderthalb Jahre lang. Dann half mir mein Freund, als Verfasser für eine Referatezeitschrift zu arbeiten. Sie wissen, was eine Referatezeitschrift ist? Da werden alle ausländischen Fachartikel zusammengefasst.
  9. Auf diese Weise hatte ich noch eine zweite Hochschulausbildung. Die erste war als Ingenieur und die zweite war als Biologe. Danach kündigte ich im Institut und bekam eine andere Arbeit auf dem Gebiet der Biochemie.
  10. Als Ingenieur arbeitete ich neun Jahre lang. Und weitere 35 Jahre arbeitete ich schon als Biochemiker. Ich verteidigte meine Dissertation usw. Ich war dann leitender wissenschaftlicher Mitarbeiter und Leiter einer Arbeitsgruppe usw. Das war ein ziemlich normales Leben. Ich möchte sagen: In meinem Leben kam es so, dass ich so etwas wie zwei Hochschulausbildungen erhielt.
  11. Zudem las ich viel, weil ich Referate schrieb, das brachte ja Einkommen. Denn das Gehalt war sehr gering, man musste ja Geld für den Lebensunterhalt verdienen. Und das ist eine schwere Arbeit. Und so wurde ich dann sozusagen endgültig Biochemiker.