Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Die Frage, nach Zentralrussland zurückzukehren, war sehr problematisch. Es war sehr schwierig, weil die nach Sibirien evakuierten Werke nach dem Krieg weiter produzieren mussten.
  2. Dazu wurden neue Betriebe errichtet. Daher versuchten die evakuierten Werke, ihre Fachleute an sich zu binden und sie nicht gehen zu lassen.
  3. Meinem Vater war jedoch bewusst: Man lebt nur einmal und das Leben sollte ausgefüllt sein. Daher wollte er zurück nach Moskau, obwohl er auch in Tomsk ein interessantes, aktives Leben führte.
  4. Dort gab es nur die ermüdende Arbeit, und das Umfeld war natürlich provinziell. So versuchte er nach Moskau zu entkommen, das war aber fast unmöglich.
  5. Er war damals Mitglied der Kommunistischen Partei, der Bolschewiken-Partei. Als er einmal seine Kündigung eingereicht hatte, wurde ihm ein Ultimatum gestellt: „Wenn du weg willst, leg deinen Parteiausweis auf den Tisch.“
  6. Und viele waren dazu nicht bereit, denn sie wussten: Ohne Parteiausweis kannst du dein Leben abhaken, da gibt es keine Perspektive mehr. Dem Vater war dennoch bewusst, dass es nicht nur für ihn wichtig ist, nach Russland zu gehen.
  7. Er hatte ja Kinder und er wollte sie dorthin bringen, damit die Kinder Bildung erlangen und ein ausgefülltes Leben führen. Er trennte sich vom Parteiausweis und man ließ ihn gehen.
  8. Vorher war er nach Moskau gefahren. Der Gehilfe des Ministers war der frühere Chef einer Hauptverwaltung, der ihn kannte. Denn der hatte die Werke besucht und da engagierte Leute kennengelernt. So hatte er Papa bemerkt usw. Der Gehilfe des Ministers empfing Vater, und der bat ihn um Unterstützung.
  9. Er legte Fürsprache im Tomsker Werk ein und Papa durfte gehen. So fuhren wir im Dezember bei minus 50 Grad mit dem Schlitten zum Bahnhof und stiegen in den Zug. Wir kamen nach Moskau ausgerechnet an Stalins 70. Geburtstag, der gefeiert wurde mit einem riesigen Porträt am Himmel usw.
  10. Wir blieben eigentlich nicht lange in Moskau. Wir besuchten traditionell das (Lenin)-Mausoleum und den Roten Platz. Aber wir waren noch zu klein. Zudem stiegen wir nach der Evakuierung bei unseren Verwandten ab und waren nicht so mobil wie heutige Urlauber – man kommt für einige Tage und kann Moskau und seine Sehenswürdigkeiten besichtigen.
  11. Daher habe ich keine besonderen Eindrücke aus dem damaligen Moskau. Später machte ich mehrere Dienstreisen nach Moskau und sie überlagerten wohl die Eindrücke, die ich damals vielleicht gewonnen hätte. Mir blieb aber in Erinnerung, dass wir in Moskau tolle Verwandte hatten. Das waren Cousinen und Cousins meines Papas, die für unsere Unterbringung sorgten, bis wir die Zuweisung für Sestrorezk erhielten. Das ist mein damaliger Eindruck von Moskau.