Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия

Yevgeniy Punskiy

Yevgeniy Punskiy wurde 1927 in Woroschilowgrad in der Ukraine, dem heutigen Lugansk, geboren. Seine Eltern waren Ärzte. Die Mutter Sofia Shapiro kam aus dem rumänischen Iasi (Jassy), der Vater Owssej (Yevsey) entstammte einer Handwerkerfamilie aus der Gegend von Wilna, im damals noch polnischen Litauen. Er hatte – wie seine beiden Brüder Isaak und Jakow – seine Heimat verlassen, um eine akademische Ausbildung zu erhalten.
Nach der Revolution war es Owssej Punskiy für Jahrzehnte nicht mehr möglich, seine jenseits der sowjetischen Grenze lebende Familie zu besuchen. Als die Sowjetunion 1940 das Baltikum annektierte und Wilna, nun „Vilnius“, in den sowjetischen Machtbereich fiel, ergriff er die Gelegenheit. Zusammen mit seinen Söhnen Yevgeniy und Witalij (geb. 1925) reiste er nach Litauen. Als sie ankamen, begann jedoch der Deutsch-Sowjetische Krieg. Da sich Yevgeniys Vater bei den Armeestellen in Woroschilowgrad melden musste, verließ er mit den Kindern nach wenigen Tagen wieder die Stadt. In der folgenden Zeit wurden fast alle der in Vilnius lebenden Verwandten Yevgeniys von den deutschen Besatzern ermordet.
Nach Woroschilowgrad zurückgekehrt, wurde Yevgeniy mit seinem Bruder und seiner Mutter ins usbekische Kokand evakuiert, wo sie den Krieg überstanden. Yevgeniy entging altersbedingt gerade noch dem Militäreinsatz. Der Vater Owssej nahm nach der Flucht aus Vilnius als Mediziner und Reserveoffizier den Dienst bei der Roten Armee auf, wurde bald von deutschen Truppen eingekesselt und als Kriegsgefangener ermordet. Sein Name, erzählt sein Sohn, steht auf keinem Grabstein.
Nach dem Krieg beendete Yevgeniy Punskiy die Schule und studierte Medizin in Moskau. Seine Mutter und sein in Moskau lehrender Onkel Jakow unterstützten ihn und setzen sich für ihn ein, wenn seine Leistungen wegen seiner jüdischen Herkunft nicht ausreichend anerkannt wurden. Auch sie konnten jedoch nicht verhindern, dass Yevgeniy eine weitere Karriere an einem Moskauer Institut verwehrt wurde. Daraufhin nahm er Anfang der 1950er-Jahre eine Stelle im turkmenischen Aschchabad an.
Dort arbeitete Yevgeniy Punskiy unter Geheimhaltung in einer Peststation, die dem Institut „Mikrob“ unterstand. Man befasste sich dort mit der Erforschung und Behandlung von Seuchen. Yevgeniy Punskiy war an der Eindämmung von Epidemien im asiatischen Raum beteiligt, beschäftigte sich mit Pest, Cholera, Typhus, Milzbrand und entwickelte neue Methoden zum Nachweis von Erregern. Nach der Promotion ging er auch in die wissenschaftliche Lehre. Als anerkannter Wissenschaftler wurde er im Ausland beachtet, und gegen Ende seiner Karriere erhielt er den Professorentitel. Seine Frau Inessa Eisenstadt, die er während des Studiums kennen gelernt hatte, und die beiden Kinder, Igor und Rimma, schlugen ebenfalls eine medizinische Laufbahn ein.
In den 1990er-Jahren wanderten der Sohn und die Tochter mit ihren Familien nach Israel und Deutschland aus. Daraufhin entschied sich auch das Ehepaar Punskiy, Aschchabad zu verlassen. Da seine Frau vorher verstarb, musste Yevgeniy Punskiy diesen Schritt schließlich alleine gehen. Er lebt seit dem Jahr 2000 in Köln, in der Nähe seiner Tochter, seines Schwiegersohnes und eines seiner drei Enkelkinder.
Die jüdische Religion spielte bei den Vorfahren Yevgeniy Punskiys eine wichtige Rolle – der Urgroßvater war offenbar Religionsgelehrter, der Großvater gläubig. In der Sowjetunion brach diese familiäre Tradition jedoch ab. Herr Punskiy beschäftigt sich seit der Übersiedlung nach Deutschland verstärkt mit jüdischer Geschichte und Religion. Er bezeichnet sich aber als „Agnostiker“: „Ich respektiere die Gläubigen, kann mich selbst aber nicht mehr umstellen.“