Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия

Borys Sheynman

Borys Sheynman wurde 1933 als Kind von Tewel Sheynman und Leja (Lisa) Sheynman geb. Step in Mogiljow-Podolskij geboren. Die Sheynmans und Steps lebten schon seit längerer Zeit in der Ukraine, als Handwerker, Händler oder Ladenbesitzer. Besonders gut erinnert sich Borys Sheynman noch an seine Großmutter Resja Step, die in ihrem Heimatdorf Osarinzy (Ozaryntsi) eine angesehene Frau war und die Sheynmans häufig in der Stadt besuchte. Sie blieb auch während des Krieges bei ihnen und tat viel dafür, dass Borys und seine Schwester Riwwa die Besatzungszeit überlebten.
Nach dem Überfall des Deutschen Reiches auf die Sowjetunion im Sommer 1941 rückten deutsche und rumänische Truppen in Mogiljow-Podolskij ein. Die jüdischen Einwohner wurden ghettoisiert, Tausende später in das etwa 80 km entfernte Konzentrationslager Petschora verschleppt. Auch Borys, seine Schwester, Mutter und Großmutter traf es. Der Vater war zuvor zur Arbeitsarmee eingezogen worden und konnte erst 1944 zurückkehren.
In Petschora litt die Familie unter Hunger, Kälte, miserablen hygienischen Bedingungen und Gewalt. Nur mit viel Glück und Unterstützung eines bezahlten Helfers gelang es den vieren, aus dem Lager zu fliehen. Auf Initiative der Großmutter versuchten sie in deren Heimatdorf unterzukommen, wurden aber wieder verhaftet und eingesperrt. Im September 1942 starb schließlich Borys’ Mutter im Ghetto Osarinzy. Die Großmutter floh erneut mit den beiden Kindern, doch wurden sie in Mogiljow-Podolskij wieder gefangen genommen und zum zweiten Mal in ein Ghetto getrieben. Borys musste dort Zwangsarbeit leisten und versuchte alles, um das Überleben seiner Großmutter und seiner Schwester zu sichern.
Nach dem Zweiten Weltkrieg absolvierte Borys Sheynman die Schule, ein Technikum in Woronesch und ein Studium in Moskau. Als Ingenieur war er an wichtigen Bau- und Infrastrukturprojekten der Sowjetunion beteiligt; er arbeitete in verschiedenen Gegenden des Landes, so auch bei der Erschließung des „Neulands“ in Kasachstan, und stieg schließlich in seiner Heimatstadt zum Betriebsleiter auf.
Da er gesellschaftlich Anerkennung genoss, als NS-Verfolgter Unterstützung bekam und eine gute berufliche Stellung hatte, dachte er auch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion zunächst nicht daran, die Ukraine zu verlassen. Da sich die Lebensbedingungen verschlechterten und seine Kinder den Wunsch äußerten wegzugehen, entschied er sich jedoch mit seiner Frau zur Auswanderung. Nachdem sie fünf Jahre auf die Genehmigung gewartet hatten, kamen sie 1999 nach Deutschland. Borys und Sofiya Sheynman zogen nach Köln, wo sie Mitglieder der Jüdischen Gemeinde wurden.
Borys Sheynman engagierte sich nachdrücklich für ein würdevolles Gedenken an die während deutscher Besatzung Ermordeten. Noch in den 1980er-Jahren übernahm er eine leitende Position in einer Vereinigung ehemaliger Ghettohäftlinge, die sich für Denkmäler und Erinnerungsfeiern an den Stätten der Verfolgung in der Ukraine einsetzte. Auch nach der Auswanderung hielt er Verbindung zu dieser Gruppe und anderen Überlebenden. Das Erinnern fiel nicht leicht, „das Ghetto hängt einem nach“, wie Borys Sheynman sagte. Aber: Er habe es als seine Pflicht angesehen, die Erinnerung an die Geschichte wach zu halten.
Im April 2011 ist Borys Sheynman im Alter von 77 Jahren verstorben.