Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия

Mikhaylo Shukhman

Mikhaylo (Michael) Shukhman wurde im September 1932 in Shmerinka, nahe der ukrainischen Großstadt Winniza geboren. Sein Vater Iossif (geb. 1905) war Facharbeiter im städtischen Eisenbahnwerk, seine Mutter Brucha (Brunja) (geb. 1910) kümmerte sich um die Kinder. Mikhaylo kannte seine Vorfahren fast nur von Erzählungen: seine Großeltern Mordl und Golda wurden wie sein Großvater Chaim von nationalistischen antisemitischen Banditen ermordet.
Mikhaylo verbrachte seine Kindheit vor dem Hintergrund stalinistischer Herrschaft und Hungerpolitik sowie wachsender Unterdrückung der jüdischen Religion. Er hatte gerade seine ersten Schuljahre hinter sich, als der Zweite Weltkrieg begann. Mit dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion im Sommer 1941 wurde auch Mikhaylos Heimatstadt erobert. Im Herbst geriet Shmerinka unter Kontrolle des rumänischen Staates, der mit dem Deutschen Reich verbündet war und die Besatzungsherrschaft in einem Teil der Ukraine ausübte.
Seit seinem neunten Lebensjahr musste Mikhaylo Shukhman im neu errichteten Ghetto der Stadt leben, zusammen mit den Eltern, dem Bruder Dmitrij (Mitja), der noch jüngeren Schwester Jewgenija (Shenja) und der bereits in der Gefangenschaft geborenen Faina. Auch die Familie des Onkels wurde dort interniert. Mikhaylo hat noch die Demütigungen und Bedrohungen durch die Besatzer im Gedächtnis. Er kann sich an Begegnungen mit der Ghettoverwaltung erinnern, vor allem aber an den alltäglichen Hunger und seine Versuche, etwas Essbares außerhalb des Ghettos zu besorgen.
Nach der Befreiung Shmerinkas durch sowjetische Truppen im März 1944 meldete sich Mikhaylos Vater freiwillig zur Roten Armee – er starb wenige Monate später an der Front. Seine Frau und die Kinder mussten sich nun allein der nach dem Krieg herrschenden Not und Unterversorgung stellen. Als die Mutter 1947 an Krankheit und Erschöpfung starb, wurde Mikhaylo von seinen Geschwistern getrennt: Faina, Mitja und Shenja kamen zu Adoptiveltern oder ins Waisenhaus.
Mikhaylo Shukhman, der aufgrund des Krieges, wie er sagt, „weder lesen noch schreiben konnte“, besuchte die Schule, machte eine Ausbildung zum Tischler und arbeitete anschließend in einem Eisenbahnreparaturwerk in Shmerinka. 1951–1954 leistete er Dienst bei der Armee. Währenddessen bemühte er sich, Kontakt zu seinen Geschwistern zu halten und diese soweit wie möglich zu unterstützen.
Nachdem das vom Vater errichtete Haus in Shmerinka zwangsweise verkauft werden musste, ließ sich Mikhaylo Shukhman nach dem Militärdienst in Dnepropetrowsk nieder. Er war als Handwerker und Rüstungsarbeiter tätig, absolvierte die Abendschule, besuchte ein Technikum und arbeitete anschließend als Meister und Vorarbeiter im Bausektor. In den 1960er-Jahren zog er zusammen mit seiner Frau ins ukrainische Nowomoskowsk. Kurz nach der Hochzeit 1964 bekam das Paar eine Tochter, einige Jahre später wurde der Sohn geboren.
1999 siedelten die Eheleute Shukhman nach Düsseldorf über, wo sie Mitglieder der Jüdischen Gemeinde wurden. Trotz der schwierigen Trennung von dem in der Ukraine lebenden Sohn und der in Bulgarien lebenden Tochter betont Herr Shukhman seine Hinwendung zu Deutschland. Er nimmt gern am Gemeindeleben teil, erzählt von Freundschaften und guten Nachbarschaftskontakten und seinem Interesse für die deutsche Sprache. So übersetzt er auch deutsche Lieder und Gedichte ins Russische – von Zeilen Heines bis zu Volksliedern.
Die Aufnahme der jüdischen Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion in Deutschland würdigt Mikhaylo Shukhman als Zeichen für einen verantwortungsbewussten Umgang mit den nationalsozialistischen Verbrechen. Er äußert jedoch seine Sorge, dass der Antisemitismus auch heute nicht frühzeitig und entschieden genug zurückgewiesen werde.