Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Die Eltern machten sich natürlich Sorgen, weil mein Bruder in der Armee war. Wie immer erst im Nachhinein erfuhren wir: Alle, die unter der Besatzung gelebt hatten, (kämpften) praktisch ohne Waffen, sie galten als Menschen zweiter Klasse.
  2. Ich war (damals) Kleinkind, aber später musste ich als Studentin Fragebögen ausfüllen: War ich unter der Besatzung oder nicht? Da gab es so eine Frage, die wurde wohl erst nach Stalins Tod abgeschafft. Also, mein Bruder und Vater waren unter der Besatzung.
  3. Er erzählte, die rumänischen Zeitungen… Odessa kam ja an Rumänien, das Gebiet hieß Transnistrien. Vater arbeitete nicht. Ihm wurden Arbeiten angeboten, er sagte aber, er sei zu alt usw. Er beschloss für sich, keine Arbeit anzunehmen, was er dann auch tat.
  4. Wie lebten sie? Die Datscha war ja immer noch da, sie pflanzten da Gemüse an, Kartoffeln, da gab es Obst. Sie machten Gelegenheitsarbeiten, aber sozusagen keine offizielle Arbeit für die Okkupanten. Wohl gleich nach der Rückkehr der Sowjetmacht nach Odessa wurde er überprüft, ob es Fakten gäbe, die ihn belasten.
  5. Man kam wohl zum Ergebnis: keine. Denn ihm wurde gleich angeboten, beim Aufbau der Hochschule für Seefahrt in Odessa mitzuwirken. Es war 1944, der Krieg dauerte noch an, die entlassenen Soldaten wurden aber schon zum Studium aufgenommen.
  6. Er wirkte mit beim Aufbau, zu Beginn des Studienjahres wurde er Inhaber des Lehrstuhls für Metalltechnologien. Die ganze Geschichte wird auf einer Internetseite erzählt: Die Hochschule stellte sie ins Internet anlässlich des 50. Jahrestags des Lehrstuhls.
  7. Dann kam meine Mutter dazu und begann als Leiterin der medizinischen Abteilung in derselben Hochschule zu arbeiten. Später kehrte mein Bruder aus der Armee zurück, er hatte eine Form von offener Tbc. Der Krieg ging 1945 zu Ende, und er kehrte 1948 heim. Unser Leben entwickelte sich so weiter, es gab natürlich wie bei allen gewisse Befürchtungen.
  8. Der Bruder wurde an der Ingenieur-Hochschule für Seefahrt immatrikuliert. Er machte da den Abschluss, wurde Doktorand, promovierte usw. Er unterrichtete ebenfalls an verschiedenen Hochschulen. Mutter arbeitete, Vater arbeitete bis zum 82. Lebensjahr.