Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Es begann der Sommer, dann gab es Wasser, Kanalisation und Strom. Die Straßenbahn fuhr wieder, das machte viel Freude. Wir wurden in der Schule versammelt.
  2. Übrigens hatte ich die Schule bereits im Oktober (1941) aufgegeben, ich ging nicht mehr in den Luftschutzraum in der Rossi-Straße, weil ich in einen furchtbaren Beschuss geraten war. Eine Granate schlug in das Gebäude gegenüber ein, es flog Ziegelstaub. Ich sah das und war erschrocken, ich lief in den Hof zum Luftschutzraum.
  3. Im Sommer wurden wir in der Schule versammelt, wohl um uns zu zählen: Wie viele Kinder sind da nach dem ersten Blockadewinter? Wir gaben da unsere Lebensmittelkarten ab und aßen da. Ich weiß noch genau, was es zum Frühstück gab: 2-3 Löffel Grieß, 2-3 dünne Scheiben Graubrot und 3-4 runde Bonbons, sie hießen „Krokette“.
  4. Warum ich das noch weiß: Ich nahm das mit und ging zur Arbeitsstelle der Mutter. Wir beschmierten das Brot mit Grieß und tranken Tee mit „Krokette“. Zum Mittagessen bekamen wir eine dünne Suppe und ein Stückchen Fett. Das Hauptgericht war ein Frikadellchen, zum größten Teil aus Brot und etwas Brei.
  5. Mit einer besseren Verpflegung war nicht zu rechnen, weil die Lebensmittelkarte für Kinder nicht üppig war. Und die Kantinenmitarbeiter wollten ja etwas für sich behalten.
  6. Nach dem Tod meines Vaters begann ich mir um meine Mutter noch mehr Sorgen zu machen. Ich wachte nachts auf, sie war schwach und ich hörte ihren Atem nicht.
  7. Ich weckte sie: „Mama!“, sie fragte: „Was?“ Ich sagte: „Schlaf…“, also sie war am Leben. Zur selben Zeit erzählte mir die Mutter von nächtlichen Luftangriffen, und ich sagte, ich hätte nichts gehört. Dann wurde festgestellt, dass ich auf einem Ohr nicht hören kann.
  8. Wir gingen nicht zum Arzt, wir kamen nicht dazu und ich bin immer noch halbtaub. Im September 1942 wurden wir eingeladen, in einer echten Schule zu lernen. Meine Schule lag am Fontanka-Ufer, dem so genannten „Pionierpalast“ gegenüber, (das war) der ehemalige Anitschkow-Palast.
  9. In der Nähe waren die Anitschkow-Brücke und auch ein Hospital, deswegen gab es öfter Beschuss. In der Schule gingen Fensterscheiben zu Bruch, und es gab keinen Unterricht.
  10. . Die Fensterscheiben wurden dann eingesetzt und wir gingen wieder zur Schule. Wir saßen in Mantel und Mütze in der Schule, denn es war schwer, die Schule warm zu halten. So war unsere Schule.
  11. Am Jahresende wurden die Abschlussprüfungen gestrichen, ich war unsäglich froh. Denn ab der 4. Klasse gab es Prüfungen. Ich war froh, weil ich sehr wenig wusste und verstand, dass ich durchfallen würde. Und ich wurde in die 5. Klasse versetzt.