Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Wir packten die Koffer und gingen zum Bahnhof. Jedoch, in die umgebauten Güterwagen zu kommen… Damals kamen keine Personen-, sondern Viehwagen. Da einzusteigen war unmöglich, so viele Leute wollten weg.
  2. Vielleicht erst am dritten Tag kamen wir hinein. Diese ganze Zeit blieben wir am Bahnhof, schliefen auf den Koffern und versuchten mehrmals einzusteigen. Das gelang uns aber nicht.
  3. Meine Mama sagte wohl am zweiten Tag: „Ich habe vergessen, das Album mitzunehmen.“ Sie ging zu Fuß, das war weit weg, und brachte das Album mit. Das war ein Glück, denn da sind die Fotos unserer Großeltern und Verwandten drin. Sie rettete unsere Familiengeschichte.
  4. Sie zeigte Mut, denn Winniza wurde bombardiert, sie ging und holte das Album. Aber etwas nahm sie nicht mit: Einige Dokumente, u.a. meine Geburtsurkunde. Daher fuhr ich ohne jegliche Papiere ab. Wer ich bin und wie alt ich bin, das konnte nur ich sagen.
  5. Also, erst am dritten Tag stiegen wir mit großen Schwierigkeiten in einen Güterwagen. Da waren sehr viele Leute, man saß eng nebeneinander. Nachts kippten wir zur Seite und schliefen so.
  6. Der Zug fuhr sehr langsam und hielt bei Dörfern. Denn man brauchte Essen. Mama nahm die Sachen aus dem Koffer, ging ins Dorf und brachte uns Lebensmittel. Und wir machten uns jedes Mal Sorgen, ob sie bis zur Abfahrt zurück kommt.
  7. Außerdem gab es einige Luftangriffe, dann rief man uns zu: „Weg da, lauft ins Gebüsch!“ Wir stiegen aus und versteckten uns unter Bäumen und Sträuchern. Dann stiegen wir ein und fuhren weiter. So langsam, nach und nach, kamen wir nach Kiew. Als wir am Bahnhof ankamen, begann ein Luftangriff, und wir wurden weg vom Bahnhof getrieben und kamen in einen Hauseingang.
  8. Mama wollte nicht weglaufen, weil wir Koffer hatten. Sie baute eine Art Schutz aus den Koffern und saß da. Meine Schwester und ich wollten aus dem Hauseingang heraus und machten uns Sorgen: „Vielleicht wurde Mama getötet?“
  9. Mir scheint, gerade da bekam ich eine graue Haarsträhne. Später sagte man über mich: „So jung und schon eine graue Strähne!“ Mir scheint, das war während des Luftangriffs, als ich Angst hatte, Mama könnte umkommen.