Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Meine zweite Großmutter, väterlicherseits, wurde nach der Verurteilung des Großvaters 1933 auch aus Leningrad gejagt: Sie war die Frau eines „Volksfeindes“. Sie fuhr zum Bruder Senja nach Insa im Gebiet Uljanowsk und wohnte dort. Und der Großvater kam nach der Freilassung dorthin.
  2. Da er Tbc-krank war, kam er zunächst in ein Sanatorium. Mein Vater ging dorthin und arbeitete dort als Direktor eines Kombinats, insgesamt zwei Jahre – so lange der Großvater lebte. Als Großvaters Aufenthalt im Sanatorium zu Ende war, bot man ihm als Agronomen an, die Nutzwirtschaft dort zu leiten.
  3. Er arbeitete im Sanatorium, und erst da lernte ich ihn kennen. Ich verbrachte den Sommer dort. Er führte verschiedene Versuche durch, kreuzte Wasser- und Honigmelonen usw. Ich war so etwas wie seine Sekretärin und notierte alles. Mir gefiel es sehr und ich wollte sogar Botanikerin werden. Aber nein, ich wurde Bauingenieurin.
  4. Der Großvater kehrte im Winter zurück, es lag Schnee. Er war noch nie in Insa gewesen, zudem war es in der Nacht. Er stieg aus dem Zug aus und wusste nicht, wohin er gehen sollte. Er war sehr schwach und trug… Welche warme Kleidung konnte er denn haben? Er fror natürlich furchtbar, die Fäden froren schon an seinem Körper fest.
  5. Er wurde an einem Haus bewusstlos. Jemand kam heraus und fragte: „Geht es Ihnen nicht gut?“ Er kam zu sich und erkannte Großmutters Bruder. Also, das Schicksal brachte ihn zum richtigen Haus. Sie nahmen ihn natürlich auf und wärmten ihn. Er wollte nichts erzählen. Auch ich fragte ihn aus, er erzählte jedoch sehr wenig.
  6. Über den Wolga-Ostsee-Kanal erzählte er, dass das schrecklich gewesen wäre. Alle wären total entkräftet gewesen und hätten kaum gehen können, wären einfach umgefallen. Sie bekamen zwar zu essen und die Verpflegung war besser als unsere während der Blockade.
  7. Trotzdem gingen ihre Kräfte zu Ende und viele starben dort. (Die Leichen) wurden einfach hinuntergeworfen und im Kanalufer einbetoniert. Großmutter war natürlich froh, sie hatte 20 Jahre auf ihn gewartet. Er war jedoch total krank, hustete ständig Blut aus und war sehr schwach. Und die Arbeit feuerte ihn etwas an, stärkte seinen Geist.