Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Und 1991 erfuhr ich, dass man ruhig nach Deutschland ziehen kann. Ich bekam das zufällig mit, ich hatte zu keiner Organisation Kontakt und auch nie zur Synagoge. Meine Frau Julia ging hin, ich aber nicht. Ich hielt die religiösen Feste nie ein, nicht weil ich dagegen war, in meiner Umgebung gab es einfach keine Gläubigen.
  2. Als ich erfahren hatte, dass man nach Deutschland ziehen kann, waren wir Feuer und Flamme und besorgten uns die Dokumente. Natürlich konnte ich früher z.B. nach Israel gehen. Aber erstens spürte ich, dass das Klima sehr schlecht für mich ist. Zweitens die Sprache – Englisch und Hebräisch – für mich wäre es kompliziert gewesen.
  3. Ich habe Deutsch gelernt und kann auch das kaum. So habe ich ein Verhältnis zu Israel als zum Heiligen Land, es ist wunderschön. Meinen letzten Artikel schrieb ich über Moses. Doch dorthin auszuwandern wäre für mich wohl unmöglich gewesen – wegen des Klimas und des Umfeldes.
  4. Unter uns gesagt, finde ich: Es ist ziemlich schwierig, mit jüdischen Kollegen Kontakt zu haben. Ich liebe… Ich bin das ganze Leben gewöhnt, Kontakt mit Russen und nicht mit Juden zu haben. Auch auf der Arbeit in Petersburg: Wenn ich erfuhr, dass ein Chefarzt Jude ist oder noch jemand, wollte ich lieber nichts mit ihm zu tun haben.
  5. Es war besser, mit Russen zu tun zu haben. Dennoch bin ich ein vollkommen reiner Jude, ich liebe das und beschäftige mich damit. Ich habe viele Bücher zu jüdischen (Themen). Ich habe nie verleugnet, dass ich Jude bin. Ich habe mich nie deswegen geschämt und immer offen darüber gesprochen, ich hatte nichts zu verbergen.
  6. Andererseits war es auf der Arbeit und im Alltag besser, mit anderen zu tun zu haben. Ich bin einfach nicht daran gewöhnt, habe das nicht gelernt. Hier gehe ich in die Gemeinde, höre die Vorträge und den Rabbiner reden, und ich lese. Dennoch habe ich meinen eigenen Blick auf die Sache. Diese ganzen Informationen sind mythologisch.
  7. Das sind wunderbare Mythen, aber eben Mythen. Ich habe hier das Buch „Jüdischer Humor“, ich lese so etwas sehr gerne. Das mache ich mit Vergnügen und verständnisvoll. Dennoch habe ich offenbar eine atheistische Ader, obwohl ich kein Atheist bin. Ich glaube an den höchsten Geist, an die Güte, Liebe und kosmische Weisheit.
  8. Das ist aber ein ganz anderer Glaube. Der Mensch ist halt so, da kann man nichts ändern. Ich schrieb viele Artikel über den Sinn des Glaubens usw., auch des jüdischen Glaubens. Das wurde nicht veröffentlicht. Ich schrieb über Moses, ich habe da meine eigene Sicht. Das wurde natürlich auch nicht gedruckt, das interessiert sie nicht.
  9. Ich bin einfach der Meinung: Es gibt ein bestimmtes unbekanntes Wissen und wenn nicht Strahlen, dann die Intuition, die hilft, sich auf eine bestimmte Information einzustellen. Wir halten Vorträge, haben sehr viele Filme zu diesem Thema. Und wir erklären und erzählen. Wir versuchen, mit keinem in Konflikt zu geraten, d.h. die Komplexität des Problems sachlich darzustellen.
  10. Offen gesagt, keiner jagte mich hinaus, keiner verfolgte mich. Ich bin ein kleiner Arzt und kein General, der verfolgt werden muss. Wer sollte mich verfolgen? Ich habe den offenen Antisemitismus nicht gespürt. Aber ich hielt mich lebenslang für einen Juden, ein wenig erniedrigt. Und ich dachte: „Komm, fahre in dieses freiere demokratischere Land.“ Ich habe allerdings eine etwas andere Meinung darüber, wie der Faschismus aufkam. Das sind aber unterschiedliche Sachen. Das waren nicht die Deutschen, das war die Ideologie. Wenn wir uns sogar den unglückseligen, wahnsinnigen Hitler ansehen, hatte auch sein Großvater oder noch jemand jüdische Herkunft, wenn man danach bohrt.