Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Und ich kam danach nach Gomel. Am Stadtrand sagte ein Mann zu mir (um meine Aussprache und Herkunft zu prüfen): „Sag byk (Bulle) und Kukuruz.“ Ich hatte ihn gebeten, da übernachten zu dürfen… Er begann mich auszufragen und dann: „Wie ist dein Nachname?“ Ich hatte vor dem Krieg sehr gerne Bücher gelesen, mich interessierte die Luftfahrt. Und da gab es einen Babuschkin, Konstrukteur oder so... – ich hatte damals noch keine Ahnung davon.
  2. Und ich sagte (dem Mann) das Erste, was mir in den Sinn kam: „Babuschkin“. – „Na gut, Babuschkin. Nastja, gib ihm Brot und ein Stück Speck.“ Ich weiß nicht, wer der Mann war, er ließ mich aber nicht bei sich übernachten. Ich ging weiter und sah unterwegs Rauch hinter einem Hügel. Der Rauch bewegte sich und ich dachte: „Ist das ein Brand? Warum bewegt sich denn der Rauch?“
  3. Ich hatte ja noch nie eine Dampflok gesehen. Es stellte sich heraus, dass es eine Dampflok war. Ich ging in die Stadt und durfte da übernachten. Am Morgen zog ich weiter. Es war ein Sonntag und die Leute gingen auf den Markt. Ich schloss mich den Frauen an. Ich weiß noch, dass da eine gepflegt gekleidete Frau war mit festlichem Kopftuch und einem Korb. Wir gingen und sprachen miteinander.
  4. Sie schaute mich oft an und fragte dann auf einmal: „Bist du Jude?“ Es klang aber freundlich und ich sagte ja. Sie gab mir zwei Eier und zehn Rubel. „Wo gehst du hin?“ Ich sagte: „Ich weiß nicht wohin. Jetzt überleg’ ich mir, nach Tschernigow zu gehen).“ Es ist 102 Kilometer von Gomel entfernt. (Die Frau) sagte: „Lass uns zum Bahnhof gehen.“
  5. (Sie) stellte sich als (hilfsbereit) heraus, sie sagte zu mir: „Wenn du dahin gelangst, geh in den Süden über die und die Städte. Und erzähle da, was hier los ist.“ Aber wozu erzählen? Es war auch so klar. Wir kamen zum Bahnhof und sie fragte auf Deutsch, ob ich mitfahren dürfte. Ich verstand es, da ich Jiddisch kann, auch schreiben und lesen. Ich lernte es zwei Schuljahre und kann es immer noch. Die Deutschen nahmen mich nicht mit, sodass ich zur Landstraße ging. Die Leute gingen da zu Fuß und ich kam auch so nach Tschernigow.
  6. Überall wurde ich gefragt: „Warum gehst du dahin, zu wem?“ Ich entgegnete: „Ich gehe nach Tschernigow, wo meine Tante ist. Mein Vater ist an der Front gefallen, die Mutter kam durch eine Bombe um. Ich gehe nun zu unseren Verwandten – in die Stadt, die vor uns liegt.“ In Gomel hatte ich wirklich eine Verwandte (gehabt). Ich fand die Straße, das Haus war (aber) zerstört…
  7. Ich ging dann von da fort. Und so gelangte ich wohl (schließlich) nach Kasatin, 250 Kilometer von Kiew entfernt. Ich kam zu einer Familie mit zwei Kindern, einer jungen Frau. Sie schaute mich an und begann zu weinen. Warum, das war mir nicht klar; ich hatte (nur) gerade über mich erzählt: „Ich habe in Kiew eine Verwandte“ usw. Dann ergänzte ich: „Wenn ich irgendwo wohnen könnte, würde ich da bleiben.“
  8. Sie sagte: „Gut, ich werde das (klären).“ Sie ließ mich zu Hause mit ihren kleinen Kindern. Sie krabbelten auf dem Boden (herum), während ich mit ihnen zusammen war. Dann kam sie zurück. (Die Frau) hatte versucht, dass ich aufgenommen werde… Wie heißt es…? Ja, als Heizer. Sie sagte: „Er wollte dich nicht nehmen, der Parasit.“ Ich ging darauf nach draußen (und weiter).