Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Die Eltern meiner Frau waren früher echte Revolutionäre. 1920 traten sie beide der kommunistischen Partei Russlands, sprich: der Sowjetunion, bei. Und bis 1937 war eigentlich alles in Ordnung bei ihnen, sie hatten verantwortungsvolle Posten. Nellis Vater war Parteifunktionär, zunächst in Charkow. Nachdem die Regierung nach Kiew umgezogen war, wurde er nach Kiew versetzt und war 3. Parteisekretär für Wirtschaft.
  2. Ihre Mutter kämpfte auch für die Revolution, sie trat der Reiterarmee von Budjonny bei und war Rotarmistin. In ihrer Familie war bis 1937 alles in Ordnung. 1937 wurde der Vater abgeholt, sie waren in dieser Zeit auf der Datscha. Meine Frau war zehn, sodass sie sich an all das erinnern kann.
  3. Die Eltern wurden an die Wand gestellt, das weiß ich von ihr. Der Vater wurde abgeholt und seitdem sah ihn keiner mehr. Das Gerichtsverfahren dauerte genau drei Monate, das Gericht war eine „Troika“. Er wurde zur Erschießung verurteilt, als angeblicher Volksfeind, der sich angeblich an dubiosen Geschichten einschließlich Mord und Attentat auf Stalin beteiligt hätte.
  4. Nelljas Mutter begann sich dafür zu interessieren: „Wie ist das nur möglich? Er ist doch Revolutionär, Kommunist.“ Man gab ihr die Antwort: „Sehr geehrte Jekaterina Lwowna, wenn Sie weiterhin so fragen, werden wir Sie auch abholen.“ Sie wurde aus der Partei ausgeschlossen. Sie handelte aber schnell und sehr klug.
  5. Sie hatte noch ein kleines Kind, neben Nellja. Sie wechselte gleich die Wohnung, sie zogen aus der Datscha aus. Kurz gesagt, Nelljas Mutter wurde Gott sei Dank nicht abgeholt. Sie schickte die Kinder nach Charkow. Das ist die Geschichte von Nelljas Eltern.
  6. 1956 wurden die beiden rehabilitiert, man sagte, sie wären ganz unschuldig gewesen. Und wenn früher der Totenschein des Vaters zugestellt wurde – „gestorben an einer Lungenentzündung im Lager“ –, so kam dann ein völlig anderes Papier: „Erschossen drei Monate nach der Einlieferung ins Gefängnis. Er hat ein Schuldgeständnis abgegeben.“ Also: Er wurde erschossen.