Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Ich ging 1928 in die erste Klasse der jüdischen Schule; sie wurde 1922 eingerichtet. Mein älterer Bruder ging in die ukrainische Schule, 1921 gab es die jüdische Schule noch nicht. 1922 wurden die ersten Schüler in der jüdischen Schule aufgenommen.
  2. Das war eine große Freude, sie war das Zentrum jüdischer Kultur – Jiddisch, Musik, Theater, die ganze Kultur. Die Schule stand im Mittelpunkt des kulturellen Lebens im Ort. Und wir nahmen dies enthusiastisch auf.
  3. Ich war ein sehr aktiver Schüler. Ich lernte gut und war der beste Schüler in meiner Klasse. Das fiel mir leicht, die Bildung des Geistes machte Spaß und glücklich. Wir waren eine sehr arme Familie. Und trotzdem war ich hervorragend in der Schule.
  4. Von der jüdischen Kultur lernten wir nur die jüdische Literatur auf Jiddisch, denn Hebräisch war verboten. Und der Rest, die 1.000 Jahre alten religiösen Traditionen unseres Volkes wurden nicht unterrichtet. Das muss man wissen.
  5. Die Schule war nur der Sprache nach jüdisch. Ich lernte viele Gedichte auf Jiddisch von jüdischen Dichtern auswendig. Später, Anfang der 1950er-Jahre, wurden sie alle als Mitglieder des Jüdischen Antifaschistischen Komitees verhaftet und im August 1952 erschossen.
  6. Nach Abschluss der jüdischen Schule kamen wir in die achte Klasse der ukrainischen Schule. Es gab zwei Parallelklassen. In einer Klasse waren alle Absolventen unserer jüdischen und der ukrainischen Schule in Chabnoje. Und in der Klasse B waren die Kinder aus den Dörfern in der Umgebung. Wir freundeten uns sehr schnell an.
  7. Wir hatten keine Schwierigkeiten. Wir gingen unmerklich zum Unterricht auf Ukrainisch über, binnen weniger Tage. Es gab überhaupt keine Probleme, wir stellten kein Problem dar. Wir freundeten uns an, waren eine Einheit.
  8. Unser Ziel war Unterricht und Wissenschaft. Das ist es, was viele nicht begreifen – warum Juden überproportional in Techik, Kultur usw. vertreten sind. Das ist im Grunde genommen dem jüdischen Volk eigen – der Drang zum Lernen.
  9. Nach Abschluss der zehnten Klasse erhielten zwei Schüler Goldmedaillen. Damals gab es noch keine Medaillen, es waren Reifezeugnisse mit roter Umrandung. Ich war einer von diesen zwei jüdischen Jungen. Wir durften an jede Hochschule ohne Aufnahmeprüfungen. Mit einer Medaille muss man (heute) immerhin eine Prüfung bestehen. Und damals ging es ohne Prüfungen.