Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. 1949, im Juli… Am 8. Juli sagte der Abteilungssekretär leise und ruhig zu mir: „Morgen um die und die Uhrzeit müssen Sie in der Personalabteilung erscheinen.“ Ich hatte schon von der Arbeit einer Staatskommission gehört… Sie war eigentlich die Parteikommission beim ZK.
  2. Sie überprüfte die Kader im Werk, die Kader mit jüdischer Herkunft. Ich dachte: „Was hat das mit mir zu tun? Ich bin ja Leiter einer kleinen Gruppe in der Versorgungsabteilung. Was soll ich da?“ Ich ging hin und sah einen mit hängendem Kopf da herauskommen. Nur die Juden wurden zur Überprüfung bestellt.
  3. Ich trat ein. Einer bat, alles kurz über meine Epopöe in Deutschland zu erzählen. Ich tat es dann auch, kurz.
  4. Danach ließ er mich gehen. Ich verstand, dass er die Akte der Filtrierungsstelle in Tscheljabinsk hat, wo ich alles über mich erzählt hatte. Ich kehrte ins Werk zurück und erfuhr, dass der Werksdirektor suspendiert wurde – der Direktor, der das Werk im Krieg gebaut hatte, Jakow Sokol. Und weswegen? Für die „falsche“ Kaderauswahl: In der Werksverwaltung hätte es zu viele Juden gegeben.
  5. Am nächsten Morgen, am Donnerstag, den 9. (Juli), drückte mir der Sekretär ein Papier in die Hand. Ich las es, das war eine dienstliche Verfügung: Kostinski wird entlassen. Entlassen, weil die Halle mit den elektrischen Schmelzöfen zu viel Nickel verbraucht habe wegen des Mangels an Metallschrott.
  6. Ich kam mit einem Auszug der Verfügung zum Leiter der Planungsabteilung, auch einem Juden. Er erklärte mir, woher das alles kommt: „Gestern gab es eine Telefonkonferenz.“ Labunez, der Leiter der Planungsabteilung, hörte auch wie immer zu.
  7. Der Leiter der Halle für elektrische Schmelze beklagte sich wegen des mangelnden Metallschrotts, das war am Vortag. Er (Labunez) sagte zu mir: „Ich bescheinige Ihnen, dass es im letzten Monat eine Nickel-Einsparung gab, genauso wie in den vorherigen Monaten.“
  8. Und er gab mir so eine Bescheinigung, er fürchtete sich vor keinem. Ich sage zwar, keiner wollte mir helfen. Es gab jedoch unterschiedliche Leute. Z.B der Leiter der Planungsabteilung. Und er sagte, wo ich die Bescheinigung vorlegen solle – bei dem Leiter des Gewerkschaftskomitees.
  9. Ich sollte zu ihm kommen und durchsetzen, dass mir ein Überbrückungsgeld ausgezahlt wird. Denn amtlich stand mir das Überbrückungsgeld nicht zu. Verstehen Sie, was die da gemacht haben? Er erklärte mir: „Gestern, nachdem Sie die Planungsabteilung verlassen hatten…“
  10. Ich war bei einem Mann von der sogenannten Kommission – Ein-Mann-Kommission. Und dann rief die Planungsabteilung Labunez an und sagte, er solle einen Grund für die Entlassung ohne ein Überbrückungsgeld finden. Und er tat es. Später zahlten sie das Überbrückungsgeld aus.
  11. Als Erstes wurde von mir verlangt, die Werkswohnung innerhalb einer Woche zu räumen. Gut, ich fand ein Zimmer in Tscheljabinsk. Jedoch suchte ich einen Monat lang Arbeit in Tscheljabinsk, wo es viele sehr große Werke aller möglichen Branchen gab. Ich konnte keine Arbeit finden.
  12. Allerdings änderte ich dann (mein Auftreten). Wenn ich in eine Personalabteilung kam, sagte ich: „Ich bin Jude, ich habe im Tscheljabinsker Werk gearbeitet. Ich wurde befreit, ich bin Repatriant.“ Denn vorher hatte man mich gebeten, meinen Pass vorzulegen und einen Tag später zu kommen: „Wir sagen Ihnen Bescheid.“
  13. Und dann zuckten sie nur mit den Achseln. Und in einem Betrieb wurde ich anders verstanden. Ich sagte: „Ich bin Jude.“ Und der (andere) sagte: „Ich bin auch Jude.“ Bei wem war ich gelandet? Beim stellvertretenden Vorsitzenden des regionalen Konsumverbandes.
  14. Er bot mir eine Stelle an: Ich sollte in den Norden des Gebiets Swerdlowsk gehen, da gab es einen Versorgungsbetrieb für drei Dörfer. Ich sollte da Leiter werden. Ich sagte: „Gut“, ich war zu allem bereit. Ich kam dann wieder zu ihm, er sagte: „Leider kann ich, mein Lieber, da nichts tun. Es gibt eine Anordnung, keine Juden bei uns einzustellen. Sie kommt von oben, eine Parteianordnung.“
  15. .“ Ich suchte schon an solchen Orten eine Arbeit, dass man es kaum glauben kann. Ich hatte eine Familie, zwei Kinder. Und ich war sogar bereit, zu einer sechsmonatigen Ausbildung für Bergbaumeister zu fahren. Der Einsatzort wäre an der Kolyma gewesen. Ich wollte an die Kolyma, wo Gefangene lebten und das Klima furchtbar ist. Ich war dazu bereit. Aber selbst dort wurden die „Kosmopoliten“ nicht eingestellt.
  16. Ich dachte: „Mein Gott, auch dort werde ich nicht aufgenommen.“ Mir blieb nur ein Ausweg: dem Vater zu schreiben und zu bitten, den Sohn aufzunehmen. Vater antwortete mir sofort: „Komm. Wir wissen nicht, was sich machen lässt. Aber komm, Vater gibt dir zu essen und eine Unterkunft.“ Ich hatte kein Geld für Fahrscheine, um in die Heimat zu fahren. Wir hatten das ganze Geld fürs Essen ausgegeben, ich war ja einen Monat auf der Suche.
  17. Ich kam zu Natan Salastjanskij, er war 40 Jahre älter als ich. Wir freundeten uns gleich nach meiner Einstellung in der Versorgungsabteilung an. Er holte dann gleich 400 Rubel und lieh sie mir. Ich konnte sie nicht gleich zurückgeben, das quälte mich. Später… Da (in Tscheljabinsk) ist ein Bruder von mir geblieben. Er erhielt meine Prämie und zahlte die Schulden zurück. Was kann ich Ihnen sagen? Das Leben eines Kosmopoliten ist in unserer Zeit schwer. Das habe ich gut verstanden. Ich kam nach Hause, in die Ukraine.