Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Erst nach der Gorbatschow-Perestroika war (weitere Aufklärung) möglich… Ich hörte wieder, man könne jetzt noch einen Antrag auf Revision stellen. Wieder stellte ich den Antrag im Militärkollegium des Obersten Gerichts, wieder erhielt ich ein Schreiben von dort. Es war in einem ganz anderen Geist verfasst, sehr höflich und sogar mit Mitgefühl.
  2. Sie teilten mit: Wenn ich mich umfassend informieren wolle, solle ich mich bei der KGB-Empfangsstelle melden. Ich ging hin und mir wurde da ermöglicht, seine (Vaters) Akte einzusehen. Es waren 54 Seiten, ich guckte sie durch.
  3. Mir wurde erlaubt, einige Kopien zu machen. Es wurde gesagt: „Sie können alles abschreiben, dieses und jenes darf aber nicht kopiert werden.“ Wo es ging, machte ich Ablichtungen. Und schließlich bekam ich 1992 den Zugang zu den Dokumenten aus dem Parteiarchiv.
  4. Und die Parteidokumente überzeugten mich davon, dass es Denunziationen gegeben hatte, u.a. von (dem Arbeitskollegen) Kudrjawzew. Da (in der Akte) gab es viele schriftliche Erklärungen meines Vaters, zu allen möglichen Fragen. Im Grunde genommen erkennt man keine Reaktion auf seine Erklärungen, manche Stellen (im Text) sind aber unterstrichen. Z.B. „der Bruder lebte in London, er stand mit ihm im Briefwechsel“, das wurde berücksichtigt.
  5. „Keine Verbindung zum Bruder, der in Ungarn lebt.“ Solche Einzelheiten wurden vermerkt, vom (damaligen) Leser berücksichtigt. Natürlich war auch das Urteil dabei, deutlich formuliert: „Verurteilt zur Erschießung.“ Er (mein Vater) bat, ihm sein Leben zu lassen. Das war aber, wie ich es verstehe, völlig vergeblich.
  6. Als ich ganz sicher war, dass Kudrjawzew einen großen Beitrag (zur Verhaftung des Vaters) geleistet hatte, konnte ich durch den Schriftstellerverband seine private Telefonnummer rauskriegen. Ich rief an, es meldete sich wohl seine Frau. Ich sagte, ich wolle Wladimir Leontjewitsch sprechen. Sie fragte: „Und wer sind Sie?“ Ich sagte: „Wissen Sie, ich lebe in einer anderen Stadt. Als mein Bekannter erfuhr, dass ich nach Moskau fahre, fragte er, ob ich Kudrjawzew kontaktieren könnte, der über Richard Sorge geschrieben hatte.“ Sie sagte: „Ja, er hat darüber geschrieben. Ihm geht es gerade aber sehr schlecht, er ist schon 90. Wir warten auf den Arzt, ich kann ihn jetzt nicht rufen.“ Ich beschloss: Auch wenn ich mit ihm sprechen würde, würde das nichts ändern. Und ich legte den Hörer auf.