Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Meine Mutter studierte in Charkow, auch Medizin, und wurde Ärztin. Sie nahm auch am Ersten Weltkrieg teil, aber an der türkischen Front. Sie erlebte auch viel. Als sie nach der Februar-Revolution und dem ersten Waffenstillstand mit Deutschland von der Front zurückkehrte, fuhr sie mit einem Schiff. Sie erinnerte sich stets daran, die Fahrt ging nach Batumi.
  2. Auf dieser kurzen Überfahrt gab es plötzlich einen Aufstand, und die Soldaten warfen die Offiziere über Bord. Das hinterließ bei ihr einen schlimmen Eindruck für den Rest des Lebens. Mit großen Schwierigkeiten gelangte sie nach Sibirien, sie war ja zu ihren Eltern unterwegs. In dieser Zeit war das Regiment meines Vaters auch in Sibirien. So trafen sie sich auf wundersame Weise: der junge Mann aus Litauen im Westen und die junge Frau aus Sibirien im Osten.
  3. Meine Eltern waren weder für Revolution noch gegen Revolution. Die Revolution war für sie etwas Fremdes, sie kam sozusagen von draußen. Sie wurden einfach von diesem Sturm mitgerissen und nahmen daran teil. Deswegen gab es bei uns zu Hause keinen revolutionären Geist und keine revolutionäre Einstellung, was in vielen Familien der Fall war.
  4. Ich beobachtete jüdische Familien, die sich befreit fühlten, sie kamen aus kleinen Orten dahin. Sie waren sehr revolutionär gestimmt und in einer Partei – Menschewiken, Sozialrevolutionäre oder in der Partei Der Bund. Meine Eltern hielten sich davon fern und lebten, wie das Schicksal es fügte. Später zogen sie aber aus Sibirien nach Moskau.