Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Im Sommer oder vielleicht im Herbst 1944 gab es ein sehr wichtiges Ereignis in meinem Leben. Nach Moskau kam die Nichte meines Vaters, die Tochter seiner Schwester. Sie war eine junge Frau und zwei Jahre älter als ich. Sie hatte das Ghetto in Wilna und das Kailis-Lager überlebt. Sie konnte fliehen, man half ihr dabei.
  2. Es waren sehr schwere Monate für sie da. Sie wurde von einem alten polnischen Katholiken gerettet. Er war Meister und kannte seinerzeit ihren Vater. Ein sehr gläubiger Mensch, ihm ist heute ein Baum gewidmet in der Allee der Gerechten in Jerusalem.
  3. Während des Krieges, als sie es beide schwer hatten, sagte sie zu ihm: „Dich schickt mir Gott.“ Er antwortete: „Nein, Dich schickt mir Gott, das ist eine Prüfung für mich. Du wirst meine Erlösung sein.“ So gläubig war er. Sie erzählte mir das erste Mal davon, was ich erst viele Jahre später (genauer) erfahren sollte: vom wahren Leben im Ghetto, von seiner Liquidierung und allem, was in den Besatzungsjahren passierte.
  4. Sie erzählte uns ausführlich davon. Sonst wurde so gut wie nichts berichtet, in der Presse gab es praktisch kein Wort darüber. Ich nannte sie natürlich nie Cousine, sie war meine „Schwester“. Sie starb vor einigen Jahren. Und sie war wirklich eine Schwester für mich. Das war (damals) ein schicksalhaftes Treffen, weil es meine Vorstellungen über das, was passierte in der Welt, stark prägte.