Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Was passierte, als die Sowjetmacht kam? Zunächst gab es keine besonderen Veränderungen, nur die Atmosphäre wurde ganz anders. Es kamen Militärs und ihre Frauen, die Nachthemden kauften und sie auf dem Boulevard trugen, im Glauben es seien Kleider. Also solche Sachen. Außerdem deckten wir uns mit Vorräten ein.
  2. Es gab eine allgemeine Verunsicherung und selbstverständlich Angst. Ich weiß noch, wie wir mal vor einem Schaufenster standen und uns kaputtlachten. Warum? Da lagen winzigkleine Mandarinen und dunkelgraue Waschseife. Wir hatten so etwas noch nie gesehen, deswegen war es komisch. Es war aber natürlich überhaupt nicht komisch, vor allem die Deportation in der Nacht vom 13. auf den 14.
  3. Das war in der Nacht auf den 14. Juni (1941), kurz vor dem Krieg. Ich erzähle, wie ich das erlebte. In der Nacht schellte plötzlich die Türklingel. Meine Mutter machte auf, da standen irgendwelche Leute mit Gewehren. Sie baten meinen Vater, Zeuge zu sein bei einer Hausdurchsuchung bei den Nachbarn. Unsere Wohnung war so, dass wir aus der Küche sehen konnten, was in deren Küche los war.
  4. Die Fenster waren gegenüber. Die Mutter und ich standen am Fenster und sahen alles. Sie kamen herein und sagten: „Packen Sie die Sachen und kommen Sie mit!“ Mein Vater musste als Zeuge dabei sein. Wir sahen das Ganze, sie (die Nachbarn) waren alte Leute, beide über 70. Der Mann war ein sehr prominenter Anwalt. Kurz davor hatte er eine schlimme Lungenentzündung gehabt, mein Vater behandelte ihn. Und sie wurden dann abtransportiert. Das war natürlich ein schreckliches Ereignis.
  5. Am nächsten Tag kauften wir Koffer, denn wir waren sicher, dass wir am folgenden Tag abgeholt werden. Auf diese Weise wurden insgesamt 34.000 Personen aus Lettland deportiert. Nach welchen Kriterien, das weiß man immer noch nicht. Denn darunter waren „politische Feinde“, Kapitalisten, aber auch Leute, die ganz zufällig dazu kamen. Unsere Verwandten z.B. hatten ein kleines Fischgeschäft. Sie wurden auch deportiert, aber warum? Sie waren nicht politisch aktiv, nichts in der Art. So waren unsere ersten Eindrücke von der Sowjetmacht.