Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Wir kamen ins Dorf, da standen die sowjetischen Kanonen und Panzer. Es gab auch Pferde und sogar Kamele. Ich sah sie zum ersten Mal. Zwei Kamele waren an einen Wagen gespannt, ein Kasache lenkte. Also, das war schon eine Freude. Ich war mit einem Jungen befreundet, er führte mich in sein Haus. Seine Mutter gab uns zu essen, er zeigte mir ihre Zuchtkaninchen.
  2. Dann sagten die Jungs, beim Dorfsowjet hängt ein Anschlag: Alle Männer von 18 bis 50 Jahren haben beim Kriegskommissariat in Krassilow zu erscheinen. Das war eine Stadt in der Nähe. Ich war damals noch nicht 18 Jahre alt, aber ich war ja mit diesen Jungs zusammen. Ich hatte behauptet, dass ich 18 sei, dass ich mich vor der Verschleppung nach Deutschland verstecken würde. Ich wollte ja nicht zugeben, dass ich Jude bin. So ging ich mit zur Rekrutierung.
  3. Da stand noch geschrieben: Wer nicht erscheint, kommt vor das Standgericht. Das war die strengste Warnung. Also musste man dahin. Wir kamen hin, standen in der Warteschlange. Unsere Namen wurden aufgenommen. Ich bekam eine Karte mit Nummer. Dann wurden wir in den Waschraum geschickt.
  4. Wir mussten uns da ganz ausziehen und die alte Kleidung wegwerfen. Danach wurde uns der Kopf geschoren. Ein Frisör guckte sich meinen Kopf an und sagte: „Das ist ja ein Sack voller Läuse!” Nach dem Frisör erhielt ich eine Schüssel und ein Stück Seife.
  5. Zum ersten Mal in drei Jahren konnte ich mich mit warmem Wasser waschen. Der Waschraum war in einem Zelt. Danach zogen wir eine Uniform an. Die Uniform war mir zu groß, ich war ja sehr hager. Sie wurde irgendwie passend gemacht. Ich bekam noch eine Karte und ging zur Essensausgabe. Es war super: Kartoffelbrei mit etwas Fleisch und Erbsensuppe.
  6. Also, wir trugen eine Uniform und wurden auf die Züge verteilt. Mein Zugkommandeur sah mich an und sagte: „Nun schicken sie mir Kinder!” Die Antwort lautete: „Es geht schon.” Am ersten Tag berichtete man uns von den Erfolgen der sowjetischen Armee, es war politischer Unterricht. Am nächsten Tag standen wir um 6 Uhr auf. Unsere Ausbildung begann, zehn Stunden jeden Tag. Wir lernten aus verschiedenen Waffen zu schießen, Handgranaten zu werfen und sonst noch alles Mögliche.
  7. Bei der Rekrutierung nannte ich mich Wassilij Petrowitsch Andrjuschtschenko. Das ging gut, niemand schöpfte Verdacht. Nur beim Waschen stellte ich mich in die dunklere Ecke, um nicht preiszugeben, dass ich Jude bin. Weiterhin war alles normal.