Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Meine Eltern waren gebildete Menschen. Ich stamme aus einer kultivierten jüdischen Familie. Mein Großvater mütterlicherseits war Ingenieur und wirkte am Bau der Chinesischen Osteisenbahn mit. In seiner Studienzeit nahm er an den Studentenrevolten in St. Petersburg teil und wurde deswegen verbannt. In der Zarenzeit dauerte das aber nicht lange, und er absolvierte dann sein Studium in Deutschland.
  2. Er arbeitete eine kurze Zeit in Deutschland, wie lange weiß ich nicht. Danach kehrte er nach Russland zurück und arbeitete als Ingenieur in Odessa. Meine Mama absolvierte ein Medizinstudium und war Kinderärztin. Der Großvater väterlicherseits hatte keinen Hochschulabschluss.
  3. Und mein Vater absolvierte vor der Revolution die Uni in St. Petersburg. Wie es damals bei den armen Studenten üblich war, verdiente er mit Nachhilfestunden. Da er Jude war, konnte er nicht an der Uni in St. Petersburg arbeiten. Die Voraussetzung dafür war, zum Christentum überzutreten. Er wollte es nicht, er war Atheist und fand es unanständig.
  4. Er kam dann nach Kiew, warum weiß ich nicht. Er arbeitete vor der Revolution am Polytechnischen Institut in Kiew und nach der Revolution an der Uni. Er war Professor für theoretische Physik. Unsere Familie wohnte, wie in der Sowjetzeit üblich, in einer Gemeinschaftswohnung.
  5. Meine Eltern hatten zwei Zimmer in einer riesigen Wohnung, wo 10 Familien wohnten. Sie lag im Zentrum von Kiew, wo ich aufwuchs. Wenn ich den Deutschen erzähle, dass ein Universitätsprofessor, ein Familienoberhaupt mit seiner Frau, einer Ärztin, in einer Gemeinschaftswohnung wohnt und morgens vor der Toilette Schlange steht, glauben es die Deutschen nicht. Das ist jedoch vollkommen wahr.