Ein Projekt der Synagogen-Gemeinde Köln und der Landesverbände
der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und Westfalen-Lippe
durchgeführt vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Lebensgeschichten jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion
in Nordrhein-Westfalen

Истории жизни еврейских иммигрантов, приехавших из бывшего Советского Союза и поселившихся
в федеральной земле Северный Рейн-Вестфалия
  1. Anfang 1944, als die sowjetische Armee schon in die Offensive ging, wurde beschlossen, das Hospital (von Kasan) in den Westen zu verlegen, und zwar nach Kiew. Das hat mich sehr gefreut.
  2. Also, das Hospital wurde nach Kiew verlegt. Wir fuhren wiederum in Güterwagen – das Hospitalpersonal und die Geräte, aber ohne Verwundete.
  3. Und das war eine glückliche Zeit, weil wir nicht arbeiten mussten und die Verpflegung wie bei den Frontsoldaten war. Es waren nicht nur 600 Gramm Brot…
  4. Also, wir waren wieder zwei Wochen unterwegs nach Kiew, ohne etwas zu tun. Wir lagen auf den Etagenbetten in den Wagen – eine wunderbare Erholung, zwei Wochen Nichtstun. Wir kamen nach Kiew, wo man wieder im Hospital arbeiten musste.
  5. Ich wurde zum Studium an der Kiewer Uni zugelassen, die Papiere hatte ich. Etwas später kam ich zum Entschluss: Ich will nicht im Hospitalwohnheim zusammen mit den Krankenschwestern wohnen. Denn diese Mädels hatten Männerbesuche und ich wollte das nicht. Ich ging ins Uniwohnheim und verließ das Hospital.
  6. Ich begann im Labor des Instituts für Chemie zu arbeiten und setzte mein Chemiestudium fort. Mein Bruder… ich weiß nicht, wie es (richtig) heißt, weder auf Deutsch noch auf Russisch: Er war der Sohn meines Vaters aus dessen erster Ehe.
  7. Er war die ganze Zeit im Krieg gewesen und lebte dann in Leningrad. 1946 wurde er demobilisiert und lud mich nach Leningrad ein. Und ich kam zu ihm. Es war ziemlich einfach an die Leningrader Uni zu kommen, wo ich mein Studium fortsetzte. Die erste Zeit wohnte ich beim Bruder – bis zu meinem Uni-Abschluss.
  8. Damals gab es die „Erste Hauptverwaltung“, die sich mit Atomfragen beschäftigte. Ich war mir sicher, dass ich dort abgewiesen werde. Ich musste einen Fragebogen ausfüllen, das ist vielleicht für die Deutschen spannend. Der entsprechende Fragebogen hatte unzählige Punkte: Eltern, Geschwister, Großeltern usf.
  9. Mir wurde auf einmal so bange, dass ich meinen Bruder auf der Arbeit anrief: „Witja, wie ist dein Vatersname?“ Er sagte: „Was hast du? Bist du verrückt geworden? Weißt du noch, wie du heißt?“ Ich dachte zunächst, ich werde abgewiesen. Der erste Absolventeneinsatz war aber dort (vorgesehen).